Hoch oben in den Feuerbacher Hohewart-Gärten läuft seit einem Jahr ein einzigartiges soziales Projekt. Es soll Jugendliche und junge Erwachsene von der Straße holen und ihnen helfen, zu Strukturen zurückzufinden, die ihnen neuen Halt geben.
Ulrich Baum-de Vries hat wahrscheinlich einen der
schönsten Arbeitsplätze in Stuttgart. Der Psychologe und Arbeitsanleiter von
der Caritas betreut hoch über dem Stadtteil mit Blick auf die Schwäbische Alb junge
Menschen, die es im Leben nicht so gut hatten. Jugendliche und Erwachsene von
der Straße, ohne Arbeit oder aus zerrütteten Verhältnissen bewirtschaften hier seit
einem Jahr einen Weinberg in einem Projekt, das ihnen die Möglichkeit gibt, ihr
Leben und ihre Ziele neu zu ordnen bzw. zu erkennen. Dabei sind der geregelte
Tagesablauf und die Einbindung in bestimmte Pflichten genau das, worauf es
ankommt und was diese jungen Menschen brauchen. Der Wein ist sozusagen nur
Lernobjekt – wenn auch ein sehr schmackhaftes.
Die insgesamt 36 Jugendlichen und Erwachsenen im Alter zwischen 15 und 25
Jahren kommen ursprünglich von der Anlaufstelle „Schlupfwinkel“ in der
Schlosserstrasse in Stuttgart, sowie von der von Margitta Zöllner vom
Caritas-Verband für Stuttgart geleiteten
Einrichtung „Jugend.Arbeit.Perspektive“, kurz „JAP“ - beides Einrichtungen des
Caritas und der Evangelischen Gesellschaft. Im
„Schlupfwinkel“ können obdachlose Jugendliche täglich eine Zeit lang der Straße
entfliehen, sich waschen, essen und aufwärmen. Ziel der JAP ist es, sie fit für
einen Beruf zu machen.
Fit für diesen zu werden können die jungen Leute an den zwei steilen
Grundstücken mit insgesamt 10 Ar Fläche lernen. Dazu gehört, Reben zu
schneiden, sie zu pflegen, Unkraut zu entfernen, Schädlinge fernzuhalten und
eben alles zu tun, damit am Ende ein guter Wein herauskommt. „Es ist hier zwar
weniger anstrengend, dafür aber mühselig - man muss viel Geduld haben“, meint
der 22-jährige Oliver, der zuvor auf der Baustelle des Caritas-Fairkauf-Marktes
in Feuerbach geschafft hat und echte harte Arbeit gut kennt. Und genau darum
geht es; die jungen Menschen sollen lernen, zu arbeiten, Verantwortung zu
übernehmen und ganz schlicht durchzuhalten. „Wo kann dies besser als an
lebenden Objekten in der Natur gelernt werden – inmitten lebensspendender Naturkräfte?“,
so Baum de-Vries. „Die Geduld und teilweise auch die Mühsal, ein Ergebnis nicht
jetzt sofort, sondern erst am Ende des Jahres zu erhalten, aber in der Zwischenzeit
trotzdem alles dafür zu tun, damit es gut wird, kommt jener Disziplin recht
nahe, die in der Berufs- und Arbeitswelt nötig ist“, so der Naturfreund.
Das Grundstück stellt der Feuerbacher Eberhard Mauch zur Verfügung, der die
steile Hanglage altersbedingt nicht mehr bearbeiten konnte und einen Pächter
suchte, der den Wengert weiterführen konnte. Als sich die Caritas meldete und
er von den Plänen des Projekts erfuhr, konnte er sich sofort dafür begeistern.
Damit war die Sache für ihn klar und Mauch unterstützte Baum-de Vries und die
Jugendlichen zudem sogar noch mit seinem Fachwissen und dem Bereitstellen
seiner Geräte und Werkzeuge. Auf dem Grundstück werden die Sorten Dornfelder,
Regent und Trollinger angebaut, wobei der Trollinger die Hälfte des Volumens
ausmacht. Insgesamt gibt der ganze Weinberg ungefähr 600 Liter her.
Das Keltern und Ausarbeiten übernimmt übrigens das Weingut Zaiß aus
Obertürkheim kostenlos. Weinbaumeister Konrad Zaiß fand das Projekt so
vorbildhaft, dass er mit seiner Kelter auch gleich sein Fachwissen und seine
professionelle Begleitung anbot, und zudem den Jugendlichen sogar noch darüber
hinaus, einen Einblick in den Betrieb zu bieten.
Ein sogar hervorragendes Ergebnis scheint bei alledem bereits erreicht worden
zu sein. Obwohl der Wein von der ersten Lese vom letzten Herbst zurzeit bei
Zaiß noch ausgebaut wird, ist laut Baum-de Vries schon jetzt abzusehen, dass er
das Prädikat Qualitätswein erhalten und ein wirklich guter Tropfen mit gutem
Öxlesgrad werden wird.
Der Name des Weins wird „Schluckwinkel“ sein - in Anlehnung an den
„Schlupfwinkel“. Er soll dann an unsere Spender und Gönner zu Weihnachten 2011
oder zu anderen Gelegenheiten verschenkt oder versteigert werden oder als
Incentive verwendet werden.“, so Baum-de Vries.