Feuerbacher Stresstest

gleich am ersten Arbeitstag

Im Bezirksbeirat ging es um die Auswirkungen von Stuttgart 21 auf Feuerbach. Es blieben viele Fragen offen.

Es herrscht dicke Luft im Feuerbacher Bürgersaal. Gut 250 Besucher haben in dem Raum Platz gefunden, manche stehen auch. Sie sind gekommen, weil sie sich anlässlich einer öffentlichen Bezirksbeiratssitzung über die "Auswirkungen von Stuttgart 21 auf den Stadtbezirk Feuerbach" informieren wollen. Der im Laufe des Tages von Bahnchef Rüdiger Grube im Haus der Wirtschaft offiziell ins Amt eingeführte neue Konzernbevollmächtigte der Deutschen Bahn fürs Land Baden-Württemberg, Eckart Fricke, ist gekommen. Er hat sich als Referent bereit erklärt, den Feuerbachern Rede und Antwort zu stehen und sitzt mit dem früheren Regierungspräsidenten und jetzigen S-21-Projektsprecher Udo Andriof und weiteren Referenten auf dem Podium im Bürgersaal. Kaum angekommen im neuen Job, folgt der Stresstest. Denn auf den 54-jährigen Ingenieur prasseln kritische Fragen und auch bissige Kommentare nieder.

Im Publikum sitzen viele S-21-Gegner, Schwabenstreich-Aktivisten, Parkschützer, aber auch die Pro-21-Fraktion ist vertreten. Zwischen den Fronten sitzen diejenigen Bürger, die sich "nur" informieren wollen. Ganz vorne sitzen die Bezirksbeiräte, die am 5. Oktober des vergangenen Jahres einem Antrag von 49 Feuerbacher Bürgern zugestimmt hatten. Letztere hatten einen öffentlichen Informations- und Ausspracheabend zu S 21 und den Auswirkungen auf den Stadtbezirk gefordert.

"Schämt euch für diese peinliche Veranstaltung", ruft irgendwann jemand aus den hinteren Reihen in den Saal. So richtig können oder wollen viele Zuhörer hier im Saal Frickes Vortrag und seine Powerpoint-Präsentation nicht verstehen. Ganz hinten im Saal beklagen die Zuhörer, dass sie ganze Passagen der übers Mikrofon gesprochenen Worte schlecht verstehen und auch nicht alles erkennen können, was mit dem Beamer an die Wand geworfen wird. Der Projektor steht auf einem Buch. Es ist ein Krimi von Asa Larsson. Der Titel: "Bis dein Zorn sich legt."

Doch der Zorn auf S 21 will sich auch hier im Saal nicht legen. Auf dem Podium ist von "schadstoffarmen Maschinen neuester Technik" die Rede, die auch beim Feuerbacher Tunnelbau zum Einsatz kommen sollen. Manche im Saal lachen jetzt hämisch und einer fragt: "Wo kann man das einklagen." Auf einem hochgehaltenen Plakat steht etwas von "schmarotzenden Polit- und Finanzgesindel, asozial, ohne Moral". Klöber steht auf, geht hin zu dem Bannerträger an der Tür und bittet ihn, das Transparent zu entfernen. "Oben bleiben", ruft jemand. Fricke von der Deutschen Bahn taucht stattdessen voll ein ins Technokratendeutsch. Er spricht vom "Zwischenangriff Prag", der nicht hier in Feuerbach, sondern oben am Ostportal des Pragtunnels geplant sei. Der Tunnel werde von der Prag aus nach Feuerbach gegraben. Die geplante Röhre unterquere die S-Bahn und Stadtbahn. Etwa vier Millionen Kubikmeter Erdaushub sollen dabei anfallen. Der meiste Bauschutt werde durch diesen Tunnel abtransportiert und zur zentralen Logistikfläche am Nordbahnhof gebracht.

Doch auch am Bahnhof Feuerbach muss Erdreich ausgehoben und über die Straße abtransportiert werden. Drei so genannte Baustelleneinrichtungsflächen sollen während der Bauphase zeitweise eingerichtet werden. Eine ist 2000 Quadratmeter groß und liegt südwestlich des Bahnhofs nahe der Kremser/Stuttgarter Straße, eine weitere (360 Quadratmeter groß) befindet sind im Bereich des Wiener Platzes und eine dritte (400 Quadratmeter) liegt direkt an der Siemensstraße. An diesen Plätzen sollen "Container und Baumaschinen" für die Baumaßnahmen am Bahnhof Feuerbach vorgehalten werden.

Eine Fahrspur auf der Siemensstraße wird deshalb zeitweilig wegfallen. Sieben Bauphasen sind insgesamt bis zur Inbetriebnahme im Jahr 2019 vorgesehen. Fricke spricht von einem "Trogbauwerk", das im Bereich des Bahnhofs Feuerbach erstellt werden müsse. Aber was ist das für ein Bauwerk? Die Sache mit dem Trog bedeutet, dass die mittleren Gleise im Bahnhofsbereich abgesenkt werden müssen - und zwar massiv. Bereits an der Überquerung der Borsigstraße auf der teilweise erneuerten Eisenbahnüberführung beginnt die Tieferlegung der Fernbahngleise. Im Bahnhof Feuerbach verlaufen die Schienenwege dann in einer Art Wanne, bis sie etwa in Höhe der Kruppstraße endgültig im Tunnel Richtung künftigem Bahnhof verschwinden. Wegen der Tiefe des Trogs sind die bisherigen Unterführungen an der Kruppstraße und im Bahnhof nicht mehr benutzbar. Sie können nicht beibehalten werden, stattdessen muss für Fußgänger und Radfahrer eine neue Unterquerung weiter nördlich im Bereich des Wiener Platzes gebaut werden.

Während der Bauzeit werden die bestehenden Gleise im Bahnhofsbereich auseinander gezogen und die neuen tiefer liegenden Fernbahngleise werden dazwischen in die besagte Mulde gelegt. Ein kleiner Teil des Tunnels nahe dem Feuerbacher Bahnhof wird in offener Bauweise gebaut. Während dieser offenen Bauphase werde es zeitweise zu Sperrungen der S-Bahngleise kommen. Roland Saur, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender bei Bosch, meldet sich im Publikum zu Wort und äußert Bedenken. Er berichtet, dass im Feuerbacher Werk etwa 3000 Beschäftigte im Schichtdienst arbeiten, allein 1000 kommen zur Frühschicht, viele mit der S-Bahn. Zudem gebe es Pläne, die Fertigung von Waiblingen nach Feuerbach zu verlegen. "Wie kann gewährleistet werden, dass die Kollegen während der Bauphase rechtzeitig zur Arbeit kommen?", fragt Saur nach. Heinz Wienand interessiert, was beim Aushub mit den Altlasten, die unterm Bahnhof schlummern, passiere. Auch die Bezirksbeiräte wollen einiges wissen: Wie das mit den behindertengerechten Zugängen zu den Bahngleisen während der Bauzeit funktioniere, fragt Martin Wöhr (CDU). "Was wird mit der Gäubahn", will Robert Thurner (SPD) wissen. Reiner Götz (Grüne) hakt nach, mit welchem zusätzlichen Verkehrsaufkommen durch den Aushub und mit welchen Konsequenzen durch die Verengung der Siemensstraße zu rechnen sei. "Werden zum Stresstest auch die Kollegen vom Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 eingeladen? Sonst haben wir den nächsten Ärger im Haus", sagt Hans Klozbücher (SÖS).

Und dann ist da noch eine ganz anderes Problem: Was ist, wenn das Projekt beim Stresstest durchfällt? Wenn bis zum Sommer tatsächlich festgestellt werden sollte, dass sich einer der künftigen Engpässe des neuen Zulaufs zum Hauptbahnhof im Bereich Zuffenhausen/Feuerbach befindet, wird es richtig teuer. Eine Möglichkeit, diesem Manko zu begegnen, könnte die so genannte Option "P" sein. "P" steht für Pragsattel. Die Verbindung der Zulaufstrecken von Zuffenhausen und Feuerbach mit dem Zulauf von Bad Cannstatt zum künftigen Hauptbahnhof müsste geschaffen werden. Sechs Gleise wären dann in Feuerbach nötig. Und ein neues Planfeststellungsverfahren für diesen Abschnitt müsste wohl auch eingeleitet werden.

DB-Konzernbevollmächtigter Fricke will im Sommer wiederkommen - zwecks Klärung weiterer offener Fragen.

 

Von Georg Friedel
Mit frdl. Genehmigung der Nord-Rundschau

Veröffentlicht am 24.01.2011