Die ganz gewöhnliche Vormontage

Das Behindertenzentrum bhz lädt zu Rundfahrten - weil und so lange sie eben noch nötig sind.

Feuerbach: Am Anfang war das Nichts, der kahle Raum einer ehemaligen Druckerei. Jetzt ist das Kunterbunt. Der Blumentrog ist aus bemalten Ziegeln gemauert, jeder in einer anderen Farbe.

An der Decke grinst das Bild eines Skeletts, das ein Herz zu verspeisen gedenkt. Eine Sphinx, in gelb und grün gehalten, blickt von gegenüber auf die Szene und wirkt betrübt. Waldemar hat die Klinge seines Beils tief in den Hackblock hinter seiner Werkbank geschlagen, an der er mit Hammer und Stechbeitel aus einem Holzblock eine seiner Skulpturen formt. Andreas Schweikert ordnet heute das, was hier geschieht. Er steht mitten im Raum und huldigt dem Offenkundigen: "Wie man sieht, ist hier alles etwas bunt", sagt er, "so soll es ja auch sein".

Insofern taugt diese Station einer Rundfahrt nicht unbedingt, die Botschaft zu verdeutlichen, die ihr Veranstalter überbringen will: alles normal, das geht. Andererseits: Für ein gemeinsames Atelier, das sich ein Dutzend Kunstschaffende selbst eingerichtet hat, ist Chaos Normalität. Die Station ist das Atelier "Diesel 28" in Feuerbach, der Veranstalter der Rundfahrt das Behindertenzentrum Stuttgart, abgekürzt BHZ. Wie man nicht unbedingt sieht, sind alle, die hier malen, feilen, bohren, aus Holz oder Speckstein Kunst oder Kunsthandwerkliches schaffen, behindert.

Das BHZ lädt jedes Jahr die Presse zur Rundfahrt ein, um zu verbreiten, dass behinderte Menschen praktisch problemlos ins Arbeitsleben integriert werden können. Oder: "Menschen mit Behinderung, um die Begrifflichkeit zu klären", sagt Stefan Wegner. Er leitet das Werkhaus ein paar Straßenzüge weiter, das genau wie das Atelier eine Einrichtung des Behindertenzentrums ist - nicht des Zentrums für Menschen mit Behinderung.

Das Feilschen um Formulierungen taugt als Symbol für die Hilflosigkeit, mit der die Republik mit einer Forderung der Vereinten Nationen umgeht. In deren Menschenrechtskonvention ist seit 2009 festgeschrieben, dass Behinderte von keinem Teil des gesellschaftlichen Lebens ausgeschlossen werden dürfen. In der Folge wurde erstmal ein Begriff geändert: Aus Integration wurde Inklusion, weil Integration beinhaltet, dass ein Mensch außerhalb steht und erst eingegliedert werden muss.

Abgesehen davon ist wenig geschehen, obwohl inzwischen Sonderschulen, Werkstätten und Heime für Behinderte als zumindest zwiespältig gelten. Vor allem Elternvereinigungen wettern, dass ihre Kinder in Sonderschulen abgeschoben statt zum gewöhnlichen Schulbetrieb zugelassen werden. Sporadisch seit 2006, regelmäßig alle drei Monate seit 2010, gibt es sogar eine Online-Zeitschrift zum Thema. Politische Initiativen sind trotz allem rar. Und eine erste Reaktion der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände auf die Forderung der Vereinten Nationen war eine Mahnung: Das Behindertenrecht sei in Deutschland ohnehin überreguliert.

Eine andere Station der Rundfahrt ist eine Werkhalle, in der Trumpf Laser produziert. "Das ist schon ein Leuchtturmprojekt", sagt Wegner. Am Eingang hängt ein Plan, wo in der Halle welche Abteilung an welchen Produktionsschritten arbeitet: Reinraum, Vormontage, Endmontage. Im Reinraum ist Schichtwechsel. Mitarbeiter hängen blaue Plastikoveralls in Spinde. In der Endmontage stehen zwei Männer vor einem Tisch voller Einzelteile. Der eine erklärt dem anderen, wie was miteinander zu verschrauben oder zu verkleben ist.

Nebenan erklären ein Dutzend Trumpf-Mitarbeiter einem halben Dutzend Gästen im Grundsatz das Gleiche: Wer welche Teile wie miteinander verschraubt oder verklebt. Das Leuchtturmprojekt ist die Vormontage. Die erledigen sechs behinderte Mitarbeiter des BHZ für Trumpf. Zur allseitigen Zufriedenheit, wie alle Beteiligten versichern, und Heidi-Melanie Maier, die Trumpf-Pressesprecherin, sagt, dass "die Zusammenarbeit wirklich die Atmosphäre im Unternehmen verbessert hat". Denjenigen, deretwegen der Tross hier ist, scheint der Termin ein wenig peinlich.

Sie "fühlen sich nicht mehr als BHZler, sondern als Trumpfler", sagt Wegner später, im Café Cube, noch ein Projekt des BHZ und die letzte Station. Zwischen dem gefühlten und dem tatsächlichen Trumpfler ist aber noch ein Unterschied: Die Arbeiter der Vormontage leben vom Staat und verdienen sich bei Trumpf ein Zubrot. Wie weit der Weg tatsächlich noch ist, bis das Ziel der Vereinten Nationen und der Rundfahrt erreicht ist, belegt, dass sie überhaupt notwendig ist. Niemand käme auf die Idee einzuladen, um mit den Männern der Endmontage über deren Arbeit zu sprechen.



Von Marc Schieferecke
Mit frdsl. Genehmigung der Nord-Rundschau
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Veröffentlicht am 22.08.2011