Das Mädchen von der „Wette“

Von Feuerbach über London nach Australien: Eine 'Bilder-Geschichte'

Das Mädchen von der „Wette“ - Klara Wohlfahrth war ihr Name - hatte eine ungewöhnliche Lebensgeschichte. Foto: Archiv Walter Rieker Bild 1 von 1: Das Mädchen von der „Wette“ - Klara Wohlfahrth war ihr Name - hatte eine ungewöhnliche Lebensgeschichte. Foto: Archiv Walter Rieker


Das kürzlich vor dem Abriss gerettete Wandfresko „Die Wette“ aus der Kantine des Schoch-Areals (wir berichteten) stellt die Abbildung einer der bekanntesten - und ersten - Fotografien aus Feuerbach dar. Diese erzählt aber auch einiges über das Schicksal der darauf verewigten Personen.

Die Fotografie von 1889 ist laut dem Feuerbacher „Urgestein“ und Sammler von historischen Feuerbacher Fotos, Walter Rieker, eines der ältesten fotografischen Zeugnisse des alten Feuerbach. Das darauf abgebildete Mädchen hieß Klara Wohlfahrt, eine uneheliche Tochter. Sie hatte, so wie zahlreiche Mädchen in vielen anderen kleineren Gemeinden und Dörfern auch, unter dem zu leiden, was man heute wohl Mobbing oder Diskriminierung nennen würde.

Im Buch „Feuerbach“ von Jörg Kurz, erschienen im Hampp Verlag Stuttgart, beschreibt Rieker die Geschichte hinter dem Foto und dessen Entstehungsgeschichte:

„Mein erstes Bild, das ich mir beim Fotografen teuer reproduzieren ließ, zeigte die Feuerbacher Wette, die in der Denkschrift zum 50-jährigen Bestehen des Wein-, Obst-und Gartenbauvereins abgebildet war. Der Grund dafür war, dass dort mein elterliches Haus, in dem ich meine Kindheit und Jugend verbracht habe, abgebildet ist. Die Wette in der Mühlstraße, über ein Wehr vom Feuerbach gespeist, diente im Dorf seit 1478 als Quartier für Enten und Gänse, als Viehtränke, Bad für die Kinder und als Feuerlöschteich. Bei der Wette stand das einzige Gemeindewaschhaus, an das auch ein Backhaus angebaut war.
Das Bild muss um 1890 entstanden sein, denn bald darauf wurde die Wette zugeschüttet. Es wurde von dem Chemiker Dr. Bogisch der Firma Hauff aufgenommen, der die neuen Fotoplatten der Firma ausprobierte. So ist eines der frühesten Fotodokumente von Feuerbach entstanden. Links hinter der Wette steht das Haus des Landwirts und beim Gärtners Falk, der auch Ziegen im Stall hatte. Rechts im Hintergrund lugt noch der Giebel des Hauses der Familie Fritz hervor. Auf der alten Mauer davor erkennt man die dazugehörige Scheuer des sogenannten 'Wasser-Fritz'. An der Ecke zur Brandgasse steht noch heute das Haus von 1780, das mein Vater von der Familie Laich gekauft hat. Daneben erkennt man am Ladenschild die Spezereihandlung von Pauline Dieterle. Am Haus verkündet ein Schild 'Flaschenbier über die Straße'.
Die junge Frau, die auf dem Bild an der Wette steht, hat eine besondere Lebensgeschichte. Klara Wohlfarth war von ihrer Mutter als lediges Kind geboren worden. Ein nicht ungewöhnliches Schicksal in Feuerbach, denn früher durften bestimmte Berufsstände wie Soldaten und fremde Handwerksburschen nicht heiraten. Die Mutter konnte später den angesehenen Geometer Wohlfahrt heiraten, der das Mädchen adoptierte. Als lediges Kind wurde Klara im Dorf von den pietistischen Nachbarn als 'Kind der Sünde' scheel angesehen. Weil sie sehr kinderlieb war, ging sie früh in den Dienst als Kindermädchen. Sie wollte ihre Feuerbacher Vergangenheit hinter sich lassen und nahm deshalb eine Anstellung bei einer Familie in London an. Die Kinder hatten ihre deutsche 'nurse' bald lieb gewonnenen und so blieb sie auch bei dieser Familie, als diese nach Australien auswanderte. Während des ersten Weltkriegs wurde sie als deutsche in ein Lager interniert, aus dem sie unter abenteuerlichen Umständen fliehen konnte. In denen Notzeiten nach dem zweiten Weltkrieg versorgte sie ihre deutsche Familie mit Paketen. Neben Klara erkennt man auf dem Bild von der Wette ihren Stiefbruder Paul Wohlfarth. Auch die Kinder mit dem Leiterwagen stammen aus der Nachbarschaft.
Dieses Bild von der Wette wurde in den 30er Jahren von einer Feuerbacher Buchhandlung als Postkarte aufgelegt und verkauft. Die Familie Wohlfahrt legte erfolgreich Einspruch gegen den Verkauf ein. Die restlichen Postkarten wurden beschlagnahmt, so dass sie heute eine Rarität sind.“

Walter RiekerWalter Rieker – das „lebende Feuerbacher Heimatmuseum“
Ohne Walter Rieker, 1935 in Stuttgart geboren, wären die meisten Publikationen und Ausstellungen über Feuerbach nicht denkbar. Unermüdlich hat er in seinem Leben Bilder und Dokumente zur Geschichte seines Heimatortes zusammengetragen. Mit seinem reichen Material und Hintergrundwissen über die Menschen und Bauten Feuerbachs ist der freundliche Mann zum „lebenden Feuerbacher Heimatmuseum“ geworden.



Walter Rieker erinnert sich:
„Mein Vater arbeitete ursprünglich als Chemiegraf bei einer großen Stuttgarter Druckerei. Als er in der schlechten Zeit nach dem ersten Weltkrieg seine Stelle verlor, hat er in Feuerbach einen Altwarenhandel aufgemacht. Er konnte 1934 in der Brandgasse 21 ein Haus kaufen, wo er in der Scheune seine Geschäfte abwickelte. Hier im Kern des Feuerbacher Oberdorfes, bin ich aufgewachsen. Besonders in der Notzeit nach dem zweiten Weltkrieg brachten die Leute ihre Altwaren zu uns, um Bezugsscheine zum Kauf von notwendigen Artikeln des täglichen Lebens zu bekommen. Ich kann mich erinnern, dass zum Beispiel eine Frau nach und nach die Bände des Lexikons ihres Mannes herschleppte, um an Papiergutscheine für den Erwerb von 'Camelia'-Hygieneartikel zu kommen. Die dicken Bücher haben wir in den großen Papierballen gerne als Verstärkung in den Ecken eingesetzt. Die Geschäftsverbindung hörte schlagartig auf, als der Ehemann dahinter kam, wohin seine Lexikon Bände verschwanden. Die Leute brachten auch alte Bildbände und Postkartenalben als Altpapier. Leider habe ich damals den überzeitlichen Wert dieser Dinge noch nicht erkannt und so kam alles in die große Ballenpresse, um wieder zu Neupapier verarbeitet zu werden. Doch nach und nach begann ich mich für die alten Papiere zu interessieren und Bilder zur Geschichte von Feuerbach zu sammeln. Ich besuchte deshalb alte Feuerbacher Familien. Von vielen Bildern, die ich damals in deren Alben noch abfotografieren konnte, sind die Originale inzwischen unwiederbringlich verloren gegangen.“


Aus „Feuerbach“ von Jörg Kurz, erschienen im Hampp Verlag, ISBN 978-3-942561-06-8
Mit freundlicher Genehmigung des Hampp Verlags Stuttgart
www.hamppverlag.de
Das Buch „Feuerbach“ ist in den Feuerbacher Buchhandlungen Schairer und Hübsch und im Buchhandel erhältlich.


Ein Schnappschuss für die Ewigkeit aus einer Zeit, in der einige noch persönliche Erinnerungen an Napoleon hatten und wo das Deutsche Reich unter Bismarck gerade einmal 18 Jahre alt war. Als eine der ersten und ältesten bildet diese Fotografie der „Wette“ aus dem Jahr 1889 vielleicht eine der authentischsten Ansichten des alten Feuerbach ab:

Die historische Fotografie „Die Wette“ im restaurierten Zustand (oben) und im original-Zustand von 1889. Fotos: Archiv Walter Rieker, mit frdl. Unterstützung von J. Arendt.
Veröffentlicht am 26.05.2015