Auf der Suche nach dem „Urschwaben“

Jürgen Kaiser beschreibt in seinem neuen Buch findige Schwaben, die daheim keine Chance hatten und vom Ausland aus die Welt veränderten

Hollywood und das dazugehörige 'Startum' wurde ge- und begründet von Karl Lämmle, einem Schwaben aus der Nähe von Ulm. Foto: freeimages.com, ManaMedia Bild 1 von 1: Hollywood und das dazugehörige 'Startum' wurde ge- und begründet von Karl Lämmle, einem Schwaben aus der Nähe von Ulm. Foto: freeimages.com, ManaMedia

Dass „die Kraft, die böses will, stets das gute schafft“ wusste schon Goethe. Diese Erkenntnis beschreibt auch treffend, dass Chaos und Unterdrückung, die fast immer z.B. auf Revolutionen folgten, oft auch ein starker Katalysator für „das Gute“ sein können.

Bei der Demokratischen Revolution von 1848 in Deutschland war das genau so. Diese schiefgegangene Revolution wurde bekanntlich von einem autoritären Polizeistaat Preussischer Prägung blutig niedergeschlagen, der schließlich Bismarck hochspülen sollte. Trotzdem forcierte ebenjene Not eine Entfaltung von Talent in Kultur, Wirtschaft und Technik, wie es sie sonst nur selten gab. Viele dieser Talente kamen aus dem heutigen Baden-Württemberg, und man kann sicherlich mit Recht behaupten, dass sie zusammengenommen wohl den Mythos des „erfinderischen“ und „findigen Schwaben“ begründen dürften.
Dumm nur, dass sich viele dieser Herren (es waren bis ins 20. Jahrhundert erstmal nur Herren…) aus Gründen der politischen Verfolgung und wirtschaftlicher Unsicherheit erstmal von ihrer Heimat abgewendet haben - was gleichzeitig das Glück für die Länder war, in denen dieser „Grundsatz an Talent“ abgewandert ist. In den meisten Fällen war dies die USA oder manchmal auch das Mutterland der Industrialisierung, England. Schwaben trugen maßgeblich dazu bei, die USA, das „Land der Freiheit“  zu seiner heutigen Rolle als wirtschaftliches und politisch stärkstes Land der Welt geführt zu haben. Ob in Sachen Revolutionierung der Landwirtschaft oder des Zeitungsdrucks, der Gründung des grössten Pharmaunternehmens oder der grössten Bierbrauerei der Welt - oder gleich der Gründung von ganz Hollywood: All das ist von Schwaben gemacht. Schwaben, die in der Fremde die Entfaltungsmöglichkeiten vorfanden, die ihnen ihre Heimat zu dieser Zeit nicht bot. In den meisten Fällen haben diese Männer ihre Heimat aber nicht vergessen, besuchten sie oft und traten als echte Wohltäter auf. Einige kehrten ganz zurück und gründeten Fabriken mit tausenden von Arbeitern. In sofern konnte Deutschland dann doch noch, wenn auch verzögert, von ihrem Erfindergeist profitieren.

Über diese „knitzen“ Schwaben hat Jürgen Kaiser, Journalist und Pfarrer von Feuerbach, nun ein Buch geschrieben. Es heisst „Daheim verkannt – in der Welt bekannt“ und der Autor stellt darin ein paar ausgesuchte Schwaben vor, die, meist aus kleinsten Verhältnissen kommend, grosses für die Welt geleistet haben. 
Wir haben mit Jürgen Kaiser über das Buch geredet:

feuerbach.de: Herr Kaiser, Wieviele Feuerbacher kommen im Buch vor?
JK: Zwei. Ladies first: Einmal ist da Jella Lepmann, eine der beiden Frauen, die ich in meinem Buch portraitiert habe. Ihr Vater hatte eine Bettfedernfabrik in Feuerbach. Ich bin allerdings noch auf der Suche, wo die war und wo Jella Lepmann wohnte. Und dann natürlich der badische Revolutionär aus Feuerbach, Ernst Elsenhans, ein berühmter Sohn der Stadt.

feuerbach.de: Welche der beschriebenen Persönlichkeiten ist Ihr persönlicher „Favorit“?
JK: Zum einen Max Eyth, weil der mich schon seit meiner Schulzeit persönlich interessierte. (Eyth revolutionierte die technische Landwirtschaft weltweit, die Red.). Und dann Molly Pitcher. Weil das einfach eine schöne Geschichte ist. (Pitcher war Tochter von Einwanderern aus Schwaben und gilt als Heldin des amerikanischen Unabhängigkeitskriegs, die Red.)

feuerbach.de: Welche der Persönlichkeiten, abgesehen von Friedrich Schiller, ist Ihrer Ansicht nach die bedeutendste oder „objektiv wichtigste“?
JK: Das kommt auf die Sichtweise an. Für Deutschland: Max Eyth. Für die Kinder: Jella Lepmann, für die USA: Emmanuel Leutze mit seinem sinnstiftenden Monumentalschinken (Maler des berühmten Bildes: "George Washington crossing the Delaware", die Red.).

feuerbach.de: Kann einer „Ihrer“ Schwaben evtl. auch als „Ur-Typus“ des „erfinderischen Schwaben“ gelten?
JK: Eigentlich fast alle. Denn sie alle hatten eine Idee. Dieser folgten sie stur, fielen immer wieder hin und standen wieder auf. Immer wieder - bis zum Erfolg.

feuerbach.de: Kann man sagen, dass die (gescheiterte) Revolution 1848 und die darauf folgende (und schon vorher existierende) Unterdrückung wie ein Katalysatorauf viele erfinderische Schwaben gewirkt hat und deren Exodus beschleunigt oder gar bewirkt hat und somit den „Grundsatz an Genies“ aus dem Schwabenland auf die gesamte Welt verteilt hat?
JK:  An erster Stelle sicherlich die Unterdrückung. Württemberg wurde nicht umsonst „das lutherische Spanien“ genannt. Die Revolution von 1848 beschleunigte dann nur noch das Ganze.

feuerbach.de: Ist Ihnen bei Ihrer Recherche sonst noch etwas interessantes oder neues begegnet?
JK: Ja, eine interessante Erkenntnis: Viele schwäbische Flüchtlinge waren schlicht und einfach Wirtschaftsflüchtlinge. Wer also heute über Wirtschaftsflüchtlinge schimpft und etwa amerikanische Verwandte hat, sollte besser den Mund halten, denn er beleidigt gerade seine eigenen Vorfahren. Und wenn die Amis damals ihre Grenzen dicht gemacht hätten, so wie wir heute… nicht auszudenken!

feuerbach.de: Vielen Dank für das Gespräch Herr Kaiser!



Der Autor Jürgen Kaiser, geboren 1953, ist Pfarrer, Journalist und einer der Geschäftsführer des Evangelischen Medienhauses Stuttgart. Als überzeugter Schwabe spürt er gern den Anekdoten und Besonderheiten der württembergischen Geschichte nach. Zugute kommt ihm seine Kunst, stets mit einem Augenzwinkern die Distanz zu seinem Lieblingsthema halten zu können. So sind seine Bücher über die Schwaben für Schwaben wie für Nichtschwaben ein Gewinn und sehr beliebt.


Jürgen Kaiser
Daheim verkannt – in der Welt bekannt
Wie knitze Schwaben die Welt veränderten
112 Seiten, mit vielen historischen Fotos
13,5 x 21,5 cm, Broschur
EUR 12,95 ISBN 9-7839-45369289
Erscheinungstermin: Mai 2016
Die Bücher sind im Buchhandel und in Feuerbach in den Buchläden Schairer und Hübsch erhältlich.
Veröffentlicht am 20.06.2016