Nachgefragt: Eine Lobby für Wohnsitzlose

Axel Glühmann versucht, Obdachlosen Struktur und Perspektive zu geben - ein Gespräch

Axel Glühmann. Foto: eva-stuttgart.de Bild 1 von 1: Axel Glühmann. Foto: eva-stuttgart.de

Nach dem Konfirmandenbesuch ist vor dem Konfirmandenbesuch: Axel Glühmann ist Leiter des Immanuel-Grözinger-Hauses und erläuterte bei seinem Besuch in der Feuerbacher Stadtkirche, warum solche Berührungspunkte wichtig sind.


Was halten Sie von zeitlich begrenzten Angeboten wie der Vesperkirche? Hilft das oder beruhigt das nur das Gewissen?

Axel Glühmann: “Das wird sicher auch das Gewissen beruhigen. Aber die Aufmerksamkeit, die die Vesperkirche erfährt, ist schon gut. Auch von unseren Leuten gehen da welche hin, obwohl sie bei uns ja auch zu essen bekommen würden. Aber das ist dort auch ein Treffpunkt. Und dass Obdachlosigkeit so einen Platz in der öffentlichen Wahrnehmung bekommt, ist positiv: Wohnsitzlose haben ja keine Lobby. Deshalb freuen wir uns im Immanuel-Grözinger-Haus auch immer ganz besonders, wenn wir Besuch von Schulklassen bekommen oder wie jetzt gerade von den Konfirmanden. Und deshalb haben wir ja auch unser offenes Café-Angebot initiiert.”


“Das Café TaS”?

Axel Glühmann: “Genau. Das bieten wir dienstags von 13.30 bis 16.30 Uhr an, in der Hoffnung, mit der Nachbarschaft ins Gespräch kommen. Und es wird richtig gut angenommen, ist ein richtiger Ort der Begegnung geworden. Überhaupt fühlen uns inzwischen auch richtig wohl und sind voll integriert im Stadtbezirk. TaS steht übrigens für Tagesstruktur, denn wir wollen mit unseren Angeboten ja unseren Leuten auch Halt und Ordnung im Alltag gewähren. 


In der Diashow der Konfirmanden war ja auch eine Gärtnerei zu sehen…

Axel Glühmann: Das waren unsere Gewächshäuser: Je nachdem, was gerade Saison hat, verkaufen wir im Café TaS auch unser eigenes Gemüse. Und wenn die Hühner mitmachen, gibt es auch Eier. Es ist ja so, dass viele unserer Leute mal einen Beruf hatten und einer Arbeit nachgegangen sind. Das wollen wir fördern. Es mag lange her sein, aber wenn sie sich so beweisen – und vielleicht sogar anderen etwas beibringen können – dann ist das sehr positiv für ihr Selbstwertgefühl. Und es hält den einen oder anderen auch vom Trinken ab.” 


Bemerken Sie eine Verschärfung der Lage, stehen die Obdachlosen auf dem Wohnungsmarkt zum Beispiel in Konkurrenz mit den Flüchtlingen?

Axel Glühmann: “Bislang spüren wir davon noch nichts, das wird sich in Zukunft aber vielleicht ändern. Wenn die Anerkennung mal durch ist, wird wohl nicht jeder Fuß fassen; nicht alle sind hoch gebildet und gut qualifiziert. Da werden schon auch welche auf der Strecke bleiben. Davon unabhängig ist aber dennoch eine Verschärfung der Situation spürbar, Wartelisten hatten wir schon früher, aber jetzt sind sie vielleicht etwas länger.”


Ist es eigentlich leichter, in einem armen Land arm zu sein, als in einem reichen? Weil dann ja alle in der gleichen Situation sind...

Axel Glühmann: “Ich meine, es ist besser, in einem reichen Land arm zu sein. Weil dann ja die staatlichen Möglichkeiten der Hilfe greifen. Allerdings gilt das nur für uns hier; in den USA ist die Lage noch mal eine ganz andere.”


Von Susanne Müller-Baji
Veröffentlicht am 02.02.2017