Es wurde angefeuert und ausgebuht – und trotz aller Phrasen und Parolen: Hin und wieder ließen die Politiker doch tief blicken.
Ob man sich danach in seiner Meinung bestärkt sah oder ganz neue Einsichten gewann – nach der vom Feuerbacher Bürgerverein in der Festhalle initiierten Podiumsdiskussion sah so mancher Wähler klarer. Und für alle Politikverdrossenen gab es draußen Motivationshilfen von der Initiative “Bock auf Wahl” um Schauspieler Walter Sittler: Wer nicht wählen geht, so die Botschaft, tut sich damit keinen Gefallen.
Bis auf den letzten Platz belegt: Ruth Mayer, Vorsitzende des veranstaltenden Bürgervereins, ließ die Festhalle vor Beginn noch nachbestuhlen und war sichtlich zufrieden mit der Beteiligung: “Wir hatten nicht gedacht, dass so viele kommen”. Die Podiumsdiskussion mit Kandidaten der in Bundes- und Landtag vertretenen Parteien sei natürlich als eine Entscheidungshilfe für die Bundestagswahl am 24. September gedacht, so Mayer: “Ich persönlich glaube aber auch, dass Politiker sein ein schwerer Job ist.” Da könne es nur helfen, wenn die Bürger mittels der ausliegenden Farbkarten verdeutlichen, welche Themen ihnen unter den Nägeln brennen: Mit Grün zustimmend winken oder doch lieber die rote Karte zeigen?
Eine gute Idee, die das Publikum, das sich offensichtlich allzu oft als Wahlvieh gefühlt hat, aber nicht immer zu bremsen vermochte: Applaus, Buhrufe, hämisches Gelächter: Die Stimmung in der Festhalle war lebhaft. Michael Zeiß, vormaliger Chefredakteur des SWR, moderierte, hakte nach und ließ die Kandidaten –
Anna Christmann (Bündnis 90/Die Grünen),
Michael Jantzer (SPD), die CDU-Bundestagsabgeordnete
Karin Maag, AfD-Stadtrat
Lothar Maier,
Bernd Riexinger (Die Linke) und der stellvertretende FDP-Bezirksbeirat
Volker Weil – auch mal angefangene Sätze vollenden. Wie die Linke ihre Wahlversprechen finanzieren wolle, fragte er bei Riexinger unschuldig nach. Jantzer ließ sich einmal zur Bemerkung verleiten, “wir müssen die Langzeitarbeitslosen vom Fernseher wegholen”. Und Christmann wurde für ihre Aussage zur “verbrecherischen Auto-Industrie” ausgebuht.
Unterteilt war der Abend in mehrere Vorstellungsrunden, unter anderem zu den Themen Dieselgate und die Folgen für Umwelt und Wirtschaftsstandort, zu Arbeitsmarktpolitik und sozialer Gerechtigkeit und zur Flüchtlingsthematik, die an diesem Abend übrigens die Emotionen im Publikum am meisten hochkochen ließ. Ein Indiz, dass das Thema über den Ausgang der Wahl entscheiden könnte? Schließlich konnten die Gäste auch direkt Fragen an die Kandidaten richten.
Initiative “Bock auf Wahl”Was aber machte die Ziege da auf dem Wal? Die beiden sind das orthographisch nicht ganz korrekte aber äußerst einprägsame Logo der Initiative “Bock auf Wahl”: Die hat sich vorgenommen, die Wahlbeteiligung in Stuttgart um zehn Prozent zu erhöhen. Man habe im Bekanntenkreis diskutiert, was man gegen die allgemeine Wahlmüdigkeit tun könne, erzählt der sozial engagierte Schauspieler
Walter Sittler: Die Initiative war geboren – und wird bis zur Bundestagswahl noch mehrere Aktionen durchführen. “Wählen lohnt sich”, sagt er: Woher sonst sollten die Politiker wissen, was die Menschen bewegt?
Vor der Festhalle informierten er und seine Mitstreiter und nahmen Video-Statements für die Webseite
www.bockaufwahl.org auf: Auch Nicolai Glasbrenner vom Feuerbacher Bürgerverein wurde dazu interviewt: “Ich habe schon jetzt Briefwahl gemacht, wollte mal sehen, wie das geht”, sagt er und empfiehlt allen: “Auf jeden Fall wählen gehen, sonst darf man hinterher nicht meckern, wenn es nicht so läuft, wie es soll.” Und was können die Parteien und Politiker dazu beitragen um die Wahl zu erleichtern? “Die großen Themen ansprechen, die Energiewende zum Beispiel.”
Dass Politik die Menschen bewegt, das hat die Feuerbacher Veranstaltung deutlich bewiesen, zumal auch zahlreiche Gäste aus anderen Stadtbezirken hergekommen waren, um sich ihrerseits ein Bild zu machen. Am Schluss mag so mancher klarer gesehen haben, wo er bei der Bundestagswahl sein Kreuz machen wird. Nachgehakt auf dem Nachhauseweg: War der Abend hilfreich? “Sehr! Ich bin kein Stammwähler und war mir unsicher”, erzählt eine junge Frau. Und jetzt? “Jetzt werde ich mir die Wahlprogramme zweier Parteien eingehender ansehen. Damit meine Stimme an die Richtigen geht.”
Von Susanne Müller-Baji