Jürgen Hettich, Vorsitzender Richter eines Strafsenats am Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart, nahm über 70 Mitglieder und Freunde des Bürgervereins Stuttgart e.V. in einem kurzweiligen Vortrag in die komplexe Welt der Strafgerichtsbarkeit mit.
Die Unabhängigkeit eines Richters steht dabei an erster Stelle. Ein persönliches Gut, das immer wieder nach allen Seiten, selbst im internen Verwaltungsablauf, mit akribischer Genauigkeit bewahrt wird und eine Grundvoraussetzung für den Rechtsstaat ist.
Jürgen Hettich, in Zuffenhausen aufgewachsen und seit über 30 Jahren in Feuerbach ansässig, leitet seit 2009 einen Strafsenat. Das Öffentlichkeitsinteresse für die Strafgerichtsbarkeit ist allgemein außerordentlich hoch. So errang die von ihm geleitete Verhandlung vor rund 10 Jahren über den „Betonmord“ tagelang bundesweite Aufmerksamkeit. Ein 19jähriger erschlug aus Eifersuchtsgründen in Rommelshausen einen Gleichaltrigen unter grausamen Umständen, zerlegte und zerstückelte die Leiche mithilfe einer 17jährigen jungen Frau. Die Leichenteile wurden mit einem weiteren erwachsenen Tatbeteiligten in Blumenkübel einbetoniert und im Neckar bei Plochingen in Mafia-Manier versenkt. Im Verlauf des Prozesses wurde das Jugendstrafrecht kritisch hinterfragt. Es gab sogar später eine Gesetzesänderung. In besonderer Erinnerung bleibt Jürgen Hettich dabei auch die Trauerarbeit der Hinterbliebenen. Das Gericht versuchte sehr sensibel vorzugehen, indem es z.B. Bilder aus der Rechtsmedizin nicht veröffentlichte. Genau dies schienen aber die Hinterbliebenen in einem später von ihnen veröffentlichten Buch dem Gericht vorzuwerfen. So gibt es immer wieder neue Muster der Bewältigung schweren Leids, die sich auch hier zeigen.
Eine besondere Herausforderung für Jürgen Hettich und seinen Strafsenat war 2011 die Bewältigung der ersten Hauptverhandlung im Rahmen des Völkerstrafrechts in Deutschland. Das 2002 erlassene Völkerstrafgesetzbuch lässt eine strafrechtliche Verfolgung von weltweit ausgeführten Kriegsverbrechen zu. Viereinhalb Jahre dauerte die Verhandlung und erforderte eine immense Bewältigung von schier unlösbaren Aufgaben, wie Zeugenbefragungen in Afrika (Kongo u. a.), USA und weiteren Ländern, teils mittels speziell eingerichteter Satellitenschüssel-Anlagen, Übersetzerdienste von speziellen Sprachen innerhalb Afrikas, unterschiedlichste Befangenheitsanträge und Einreden der Verteidigung, grundlegende Verständigungsdifferenzen in Begriffen etc.. Dabei muss ein Senat über den Zeitraum der Gesamtverhandlung mit den gleichen Personen besetzt sein, was allein schon in gesundheitlicher Hinsicht eine Herausforderung bedeutet.
Zwei Ruander, die schon über 20 Jahren in Deutschland lebten und von hier aus kriegerische Übergriffe auf die kongolesische Bevölkerung organisierten, waren angeklagt. Sie waren Präsident und Vizepräsident der FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas). Das Urteil mit 13 bzw. 8 Jahren Freiheitsentzug ist noch nicht rechtskräftig, wobei der Hauptverdächtige schon 8 Jahre in Untersuchungshaft sitzt.
In der abschließenden lebhaften Frage-/Antwortrunde unterstrich Richter Hettich, dass auch durch solche extrem komplexen Verhandlungen, siehe auch im derzeitigen „NSU-Prozess“, der Rechtsstaat nicht an seine Grenzen gelangt, auch wenn eine Anpassung der Strafprozessordnung notwendig wäre.