Sommerpredigtreihe in der Feuerbacher Stadtkirche St. Mauritius

"Vielleicht hält Gott sich einige Dichter" – Gottesdienste zu literarischen Werken

Pfarrerin Gerda Müller Bild 1 von 2: Pfarrerin Gerda Müller

Der Titel der diesjährigen Sommerpredigtreihe in der Feuerbacher Stadtkirche vom 5. August bis 2. September 2018 verdankt sich einem Satz des Schweizer Schriftstellers Kurt Marti.

Er lautet vollständig: »Vielleicht hält Gott sich einige Dichter (ich sage mit Bedacht: Dichter!), damit das Reden von ihm sich jene heilige Unberechenbarkeit bewahre, die den Priestern und Theologen ab Handen gekommen ist.« So soll in dieser Predigtreihe die Stimme der Schriftsteller zu Wort kommen. Die Stimme der Dichter soll eingebracht werden in ein Gespräch über Gott. In Anknüpfung und Widerspruch soll gefragt werden, was das jeweilige Werk über Gott und den Menschen zu sagen hat.

Sonntag, 5. August, 10 Uhr
Joseph von Eichendorff: Aus dem Leben eines Taugenichts - Gottesdienst mit Pfarrer Günther Hauser
Joseph Karl Benedikt Freiherr von Eichendorff (1788–1857) gilt als bedeutender Schriftsteller und Lyriker der deutschen Romantik, aus dessen Feder zahlreiche Theaterstücke, Romane und Erzählungen, Gedichte und Epen stammen. Seine starke Bindung an den (katholischen) Glauben zieht sich auch durch sein Gesamtwerk, wobei jedoch – anders als etwa bei Clemens von Brentano – bei Eichendorff weniger Seelenqualen oder missionarischer Eifer im Vordergrund stehen, sondern eine bodenständige Spiritualität. Eichendorff war stark in seinem Zeitgeschehen verwurzelt und hatte zahlreiche Kontakte, unter anderem nach Württemberg zu David Friedrich Strauß.
Der Literaturwissenschaftler Rüdiger Safranski sagt über Eichendorff: »Eichendorff ist kein Dichter der Heimat, sondern des Heimwehs, nicht
sondern der Sehnsucht, nicht des Ankommens, sondern der Abfahrt.« Dieser Beobachtung geht die Predigt mit einem Ausschnitt aus dem Werk Eichendorffs, der Novelle »Aus dem Leben eines Taugenichts« und einem Abschnitt aus dem Buch des Propheten Jesaja nach. In der Novelle wird das Abenteuer eines jungen und naiv-sorglosen Taugenichts geschildert, der einzig mit seiner Geige im Gepäck in die Welt zieht und dabei sein Liebesglück findet.

Sonntag, 12. August, 10 Uhr
Max Frisch: Homo faber - Gottesdienst mit Pfarrer Hartmut Zweigle
Der 1951 erschienene Roman Homo faber ist der Lebensbericht des erfolgreichen Ingenieurs Walter Faber, der ein mobiles Leben zwischen New York, Paris und seinen beruflichen Einsatzorten in der Dritten Welt führt. Faber hat eine gefühlsarme Beziehung mit einer Frau, die er eigentlich kaum kennt. Stimmungen, Liebe, Religion und Kunst irritieren ihn; er glaubt nur an das naturwissenschaftlich Messbare. Durch Zufall wird er mit seiner lang vergessenen Vergangenheit konfrontiert: In den 30er Jahren war er in Zürich mit der Halbjüdin Hanna liiert. Er hatte mit ihr ein Kind gezeugt, verließ sie jedoch aus beruflichen Gründen. Im Glauben, sie würde das Kind abtreiben. Nun erfährt er, dass sie noch lebt. Ein zweiter Zufall: Faber lernt die Studentin Sabeth kennen und beginnt ein Verhältnis mit ihr - nicht wissend, dass sie Hannas und seine leibliche Tochter ist. Sabeth stirbt an den Folgen eines Unfalls, und Faber selbst steht am Ende vor einer lebensbedrohlichen Operation und sieht damit dem Tod ins Auge. Offensichtlich reicht seine rein naturwissenschaftliche Weltanschauung nicht aus, das Leben zu verstehen und zu bestehen.

Sonntag, 26. August, 10 Uhr
Margaret Atwood: Der Report der Magd - Gottesdienst mit Abendmahl, Pfarrerin Gerda Müller
Der weltweite Bestseller der kanadischen Schriftstellerin Margaret Atwood steht in der Tradition von George Orwells »1984«. Sie zeigt, wie leicht Normalität ins Unmenschliche umkippen und Religion und der Name Gottes missbraucht werden können. Im Roman steht die vermeintlich christlich fundamentalistische Republik Gilead im Mittelpunkt, die nach einer Nuklearkatastrophe durch einen Putsch entstanden ist. Die Regierung der Söhne Jakobs hat alle Menschlichkeit, Solidarität und Nächstenliebe unter den Bewohnern vernichtet. Es herrscht ein menschenverachtendes Regime, das das Alte Testament für seine perfiden Ziele missbraucht. Frauen sind rechtlos in Gilead. Die meisten Frauen sind durch die Nuklearkatastrophe unfruchtbar. Nur noch die wenigen Mägde sind fruchtbar. Sie haben die Pflicht, Kinder für die herrschenden Kommandanten zu gebären wie die Mägde von Sara und Lea im Alten Testament für Abraham und Jakob. Eine dieser Mägde ist Desfred. Ihr Leben beschreibt Margaret Atwood.

Sonntag, 2. September, 10 Uhr
Wole Soyinka: Aké Joseph Conrad: Herz der Finsternis - Gottesdienst mit Pfarrer Harald Küstermann
Wole Soyinka erzählt in »Aké« von seiner Kindheit in Nigeria voller Menschlichkeit, voller Humor und voller Religionsvermischung. Die Wege nicht nur Gottes, sondern auch der Menschheit sind unergründlich. Und das Heilen von kulturellen Wunden ist ein amüsanter Prozess voller Skurrilitäten, wenn auch mit Tränen. Joseph Conrad hatte ein paar Jahrzehnte vor Soyinka geschrieben über die Entstehung jener tiefen kollektiven Wunden.
Sein berühmtester Roman behandelt die Zeit des Kolonialismus. »Herz der Finsternis « spielt zwar in Afrika, aber das eigentliche Thema ist der Verlust der europäischen Seele. Über das Verhältnis von Deutschen und Italienern wurde gesagt: Die Deutschen lieben Italien, aber sie respektieren es nicht. Die Italiener respektieren Deutschland, aber sie lieben es nicht. Eine ähnliche Verhältnisbestimmung, nur in viel tieferliegenden Schichten des Unbewussten und der Menschheitsgeschichte, könnte zwischen Europa und Afrika bestehen. Und vielleicht helfen die beiden großen Literaten, das Heimatliche und das Fremde besser zu verstehen.
(Redaktion: Evangelische Kirchengemeinde Feuerbach)

Evangelische Kirchengemeinde Feuerbach
Pfarramt Gustav-Werner-Kirche
Pfarrerin Gerda Müller
Wildeckstraße 35
70469 Stuttgart
Mail gerda.mueller@elkw.de
Tel 0711/816262

Veröffentlicht am 24.07.2018