Zentrum für Bildende Kunst und Intermediales Gestalten (ZKIS) in Feuerbach:

Schülerwerke zwischen Pop-Art und Patriotismus

Ulla Köplin, li., und Annette Gallus vom Zentrum für Bildende Kunst und Intermediales Gestalten (ZKIS) mit einem an ein Motiv Dalis erinnerndes Kunstwerk. Fotos: G. Friedel Bild 1 von 6: Ulla Köplin, li., und Annette Gallus vom Zentrum für Bildende Kunst und Intermediales Gestalten (ZKIS) mit einem an ein Motiv Dalis erinnerndes Kunstwerk. Fotos: G. Friedel

Annette Gallus und Ulla Köplin vom „Zentrum für Bildende Kunst und Intermediales Gestalten“ (ZKIS) haben sich weiße Baumwollhandschuhe übergezogen.

Sie öffnen den Deckel eines braunen Kartons und holen eine Mappe mit Zeichnungen hervor: Darin befinden sich die ältesten Schätze des baden-württembergischen Schulkunst-Archivs. Aus der Mappe entnimmt Ulla Köplin eine grafische Arbeit, die bereits vor 134 Jahre entstanden ist. Es handelt sich um eine Zirkelzeichnung aus vielen übereinander und ineinander laufenden schwarzen Kreisen auf verblichenem Papier. Der Schüler aus dem Main-Tauber-Kreis hat dafür vermutlich viele Stunden investiert. In fein geschwungener Schönschrift steht daneben: „Niederstetten, Juli 1887, H. Schürger.“ Aus heutiger Sichtweise wirkt die millimetergenau gefertigte Zeichnung samt der perfekten Schrift faszinierend und fremd zugleich. Ein Produkt werkbesessener Gründlichkeit und kunstvoller Ordnung - wie am Reißbrett konstruiert.

„Man kann an Hand der Arbeiten schon sehr stark ablesen, wie sich der Unterricht im bildnerischen Gestalten in den vergangenen 130 Jahren verändert hat. Anfänglich war der Kunstunterricht eher eine Zeichenschule. Die Arbeit aus dem Jahr 1887 würde man heutzutage dem Geometrieunterricht statt dem Fach Bildende Kunst zuordnen “, sagt Köplin.

Die frühere Lehrerin an einer Grundschule in Bad Cannstatt arbeitet schon seit 2014 im Schulkunst-Archiv und ist Teil des vierköpfigen ZKIS-Teams. „Eine der Hauptsäulen unserer Arbeit ist die Vorbereitung und Durchführung der landesweiten Schulkunst-Ausstellungen“, berichtet Köplin. Das aktuelle Zwei-Jahres-Projekt heißt „Natur und Zeit“. „Allerdings können wir wegen der Corona-Pandemie derzeit keine Ausstellungen durchführen.“ Wahrscheinlich wird deshalb das ganze Projekt um ein Jahr nach hinten geschoben. Momentan sind Köplin und Gallus damit beschäftigt, die im vergangenen Jahr ausgestellten Exponate „100 Jahre Bauhaus“ wieder zu verpacken und an die Produzenten zurückzuschicken: „Im Grunde gibt es bei uns viele Parallelen zur Arbeit in einem herkömmlichen Museumsbetrieb“, erklärt Gallus, die zwei Tage die Woche im Archiv arbeitet und ansonsten unterrichtet.

Seit 2007 residiert das Archiv in einem unscheinbaren Gewerbegebäude an der Siemensstraße 52b. Über 7000 Schülerarbeiten – darunter Malereien, Zeichnungen, Grafiken, Fotografien, Filme, Plastiken, Objekte und Architekturmodelle – lagern auf der 800 Quadratmeter großen Etage im Gewerbegebiet Feuerbach-Ost. Eine Erkundungstour durch die Räume ist allerdings nur nach telefonischer Voranmeldung möglich.
„Wir sichten, sammeln, archivieren und digitalisieren nicht nur Schülerwerke, sondern wir koordinieren von hier aus auch einen Teil des Programms Schulkunst des Landes, das bereits seit 1984 existiert“, erklärt Ulla Köplin. Das ist ein Förderprogramm für den Bereich Bildende Kunst in ganz Baden-Württemberg. Kerngedanke ist, dass es für alle Schularten offen ist (siehe auch Nachgefragt). „Das gesamte Archiv ist einzigartig in ganz Deutschland“, ergänzt Gallus. Die historisch angelegte Ausstellung „Kunst-Stücke – 130 Jahre Schüler-Kunst aus Baden und Württemberg“ zeigt einen Querschnitt der Werke, die auch ein Spiegel ihrer Zeit sind. Ein Beispiel: Die Arbeit eines Reutlinger Schülers aus dem Jahr 1917. Die Zeichnung zeigt, wie während der Zeit des ersten Weltkrieges die Woge des Hurra-Patriotismus die gesamte Gesellschaft erfasst: „Zeichnet die Kriegsanleihe“ steht da über einer Spendenurne. Davor stehen Frauen, Kinder und alte Männer aus unterschiedlichen Schichten in einer Schlange. Die vermutlich von einem Plakat abgemalte Szene des Schülers zeigt, wie Alte und Junge, Arme und Reiche brav ihre Anleihescheine in eine Art öffentlich aufgestellte Spenden-Box werfen, um die Kosten des laufenden Krieges zu finanzieren. Im Hintergrund sind ein Kriegsschiff und ein Jagdflieger zu sehen. Fast schon dokumentarischen Charakter haben auch einzelne Bilder und Zeichnungen aus der Zeit des Nationalsozialismus, die Alltagsszenen und Kriegsgerät zeigen. Nach dem Zweiten Weltkrieg erstrahlt dann nach und nach die scheinbar heile Welt der Wiederaufbau-Zeit in bunten Farben. Später kommen Pop-Art, Flower-Power und die antiautoritäre Bewegung dazu.

Momentan dürften im Kunstunterricht das Virus, die Pandemie und die damit verbundenen schulischen Einschränkungen ein Thema sein. Vielleicht finden sich später einmal Arbeiten dazu im Schulkunst-Archiv – als Ansporn und Anschauungsunterricht für künftige Generationen. Frei nach dem Motto: Wie kommen wir künftig besser und kreativer durch solche Krisen?

Von Georg Friedel


http://lis-zkis.de/,Lde/Startseite/Schulkunst_Archiv

Veröffentlicht am 21.05.2021