Feuerbacher Einzelhandel:

Warten auf die große Keule

Jürgen Reichert und Christl Strauß. Foto: G. Friedel Bild 1 von 1: Jürgen Reichert und Christl Strauß. Foto: G. Friedel

Der örtliche Einzelhandel hofft auf eine Rückkehr zur Normalität. Mit Pop-up-Geschäften und neuen Ideen will der GHV Feuerbach der noch lange nicht beendeten Krise trotzen.

Die Pandemie hat den Ausleseprozess im Einzelhandel beschleunigt. „Die Krise schlägt auf allen Ebenen zu“, sagt Jürgen Reichert. Der Anfang Juli in seinem Amt bestätigte 1. Vorsitzende des Gewerbe- und Handelsvereins (GHV) Feuerbach berichtet, dass nicht alle Feuerbacher GHV-Mitgliedsunternehmen die vergangenen eineinhalb Corona-Jahre überlebt haben. „Vier Geschäfte haben wir bisher verloren“, sagt er, darunter seien auch zwei Reisebüros. Auch wenn dieser Schwund bei insgesamt 150 Mitgliedsfirmen auf den ersten Blick verkraftbar erscheint, so hat Corona dennoch massive wirtschaftliche Schäden hinterlassen, bilanziert Reichert: „Viele unserer Mitgliedsunternehmen überleben zwar Corona, aber sie mussten an ihre finanzielle Substanz gehen. Einige haben Kapital verloren, andere haben in der Krise Liquidität eingebüßt oder eben beides.“ Wieder andere trifft die Krise erst jetzt. Ein Beispiel sind Handwerksbetriebe: „Wer mit Holz zu tun hat oder allgemein im Baugewerbe unterwegs ist, der hat gerade mit extremen Materialverteuerungen und Knappheiten zu kämpfen“, erklärt Reichert. Auch die Hersteller von Verpackungsmaterial für die Industrie sind eigentlich auf Holz angewiesen, doch der Markt ist wie leergefegt: „Und die Preise haben sich teilweise verdreifacht.“

Und die Leidenszeit ist noch lange nicht zu Ende: „Unterm Strich wird der Staat seine Investitionen wegen der Staatsverschuldung zurückfahren. Und dann trifft es unsere Mitgliedsfirmen erneut“, sagt der Rechtsanwalt und Steuerberater in Stuttgart-Kallenberg. Die „große Keule“, so schätzt er, komme vermutlich erst 2024. Mit weiteren Insolvenzen ist jedenfalls zu rechnen. „Die Einzelhändler und Gastronomen haben natürlich am meisten gelitten, wobei es auch da sehr unterschiedliche Entwicklungen gibt.“

Trotzdem war bei der GHV-Mitgliederversammlung im Audi-Zentrum Stuttgart schon wieder verhaltener Optimismus zu spüren: „Bei einigen hat die langsame Rückkehr zur Normalität schon wieder zu einer verhaltenen Belebung der Geschäfte geführt“, sagt der 60-jährige GHV-Chef, der seit drei Jahren im Amt ist. Massive Zukunftsangst plagt den Einzelhandel dennoch. Bei manchen herrscht tiefe Verunsicherung, bei einigen Lähmung: „Dieser scharfe Eingriff ins Wirtschaftsleben hat einige unserer Mitglieder wirklich mitgenommen und sie warten nur darauf: Wann kommt der nächste Schlag“, schildert Reichert die Stimmungslage. Manch treuer Kunde, der vorher gar nicht wusste, wie man Online Waren bestellt, musste dies plötzlich während der Corona-Zeit lernen – und kam erstaunlich gut damit klar. Im Internet präsent zu sein und auch dort seine Waren anzubieten, sei daher für alle Einzelhandelsbranchen wichtig. „Ich sage allen Mitgliedsunternehmen, ihr müsst im Internet präsent sein und bis zu einem gewissen Umfang auch Waren anbieten“, betont Reichert. Auf der anderen Seite könne man gegen einen US-Versandriesen wie Amazon nie gewinnen. Die Lust im Laden zu kaufen, scheint dennoch langsam zurückzukehren, allerdings nicht bei allen Konsumenten: „Die Mehrzahl der Kunden kommt wieder gerne, aber etwa ein Viertel bis ein Fünftel bleiben weg, weil sie vom Angstvirus erfasst sind“, sagt der Feuerbacher GHV-Vorsitzende. Der anspruchsvolle Kunde wolle ohnehin vieles „in natura“ sehen, bevor er es kaufe.

Eine gut besuchte Einkaufsmeile wie die Stuttgarter Straße ist so schnell nicht totzukriegen – auch nicht durch Corona. Und gegen Leerstand geht der GHV mit frischen Ideen vor. Eigentümern, die sich schwertun, nach einer Kündigung auf die Schnelle einen neuen Mieter für ihren Laden in Feuerbach zu finden, greift der örtliche GHV mit einem Übergangskonzept unter die Arme. „Wir bieten in solchen Fällen an, dass wir die Geschäftsräume interimsweise für einen kleinen symbolischen Preis mieten. Kommt es zum Vertragsabschluss, übernehmen wir auch die Nebenkosten. Unseren Mitgliedern stellen wir die Ladenflächen dann als Zwischennutzer für Ausstellungen, Werbe-Aktionen oder Veranstaltungen zur Verfügung“, erklärt der GHV-Vorsitzende. So soll in Feuerbach verhindert werden, dass leerstehende Läden ein trostloses Bild abgeben. „Sobald der Eigentümer einen festen Mieter gefunden hat, sind wir wieder draußen“, beschreibt Reichert dieses Pop-up-Modell. Demnächst soll das Konzept auch anderen Stadtbezirken und deren GHV-Vorständen präsentiert werden. Gleichzeitig gibt es Pläne, die Stuttgarter Straße in den kommenden Jahren aufzuwerten und attraktiver zu gestalten. Und zwar auch im Abschnitt zwischen dem Biberturm und der Kreuzung Stuttgarter/ Klagenfurter Straße. Die Konzeptstudie der Firma Ranger Design dient dabei als Vorlage. Etwa 150.000 Euro Planungsmittel seien für entsprechende Planungen im Doppelhaushalt vorgesehen: „Mir schwebt da rein optisch so etwas wie auf der Tübinger Straße vor. Allerdings dürfen nicht noch mehr Stellplätze wegfallen.“ Für den GHV-Vorsitzenden ist klar, dass gerade die älteren Bewohner in relativ abgeschiedenen Wohngegenden wie Hohewart, Bracke, Killesberg und Siegelberg weiter beim Einkaufen aufs Auto angewiesen sein werden. Dafür fehle einfach eine gute Anbindung an den Öffentlichen Personennahverkehr in Feuerbach. „Und wenn die Stadt Stuttgart wirklich etwas für die Verkehrsentlastung in Feuerbach tun will, dann sollte sie unseren Ortsbus endlich als ganztägig verkehrende SSB-Linie laufen lassen“, fordert Reichert. Was veranstaltungsmäßig in Feuerbach 2021 möglich ist, wird sich zeigen: „Wir haben jedenfalls am 12. September einen verkaufsoffenen Sonntag angemeldet“, sagt Reichert, der hofft, dass wie gewohnt parallel dazu die Kirbe stattfinden kann. Mögliche weitere Termine sind die lange Kultur- und Einkaufsnacht am 23. Oktober und Weihnachtsaktivitäten. Reichert hofft nun, dass nun längerfristig wieder mehr Normalität einkehrt. Auch für ihn in seiner Funktion als GHV-Vorsitzender sei die Pandemie ein riesiger Hemmschuh gewesen: „Ich musste einen ganzen Haufen Termine absagen. Meine Begrüßungstour durch die Mitgliedsunternehmen steht in großen Teilen noch aus.“

Bei der vergangenen Mitgliederversammlung bekam der frühere GHV-Vorsitzende Jochen Heidenwag die Ehrenmitgliedschaft verliehen. Neben Jürgen Reichert wurden auch Julia Schäfer (Ernst Müller GmbH) als 1. Stellvertretende Vorsitzende, Andrea Ettengruber (Dieter Ettengruber GmbH) als Schatzmeisterin und Christl Strauß (Champagne Stuttgart) in neuer Funktion als Schriftführerin im Amt bestätigt. Neu in den Vorstand gewählt als 2. Stellvertretender Vorsitzender wurde Mark Geißendörfer, Standortleiter Neufahrzeuge bei Audi Stuttgart.


Von Georg Friedel

Veröffentlicht am 30.07.2021