Mehr Kunden, weniger Spenden:

Tafeln stossen an ihre Grenzen

Das kann man doch noch essen! Foto: sm Bild 1 von 1: Das kann man doch noch essen! Foto: sm

Die Zahl der Menschen, die sich einen normalen Lebens- mittel-Einkauf nicht mehr leisten können, steigt. Inflation und gestiegene Preise führen dazu, dass immer mehr Leute vor den Tafeln Schlange stehen. So auch vor der bhz-Tafel in Feuerbach.

Wie sehr das soziale Gefüge hierzulande derzeit ins Kippen gerät, zeigt sich vor den Tafelläden. Für die Verantwortlichen der 960 bundesdeutschen Tafeln gleicht der tägliche Betrieb und die Organisation neuerdings immer mehr der Quadratur des Kreises: Denn weniger Lebensmittelspenden müssen an eine wachsende Zahl von Bedürftigen ausgegeben werden.

In diesem Frühjahr reihten sich in die Schlange vor der bhz-Tafel, Hohnerstraße 2, auch die Geflüchteten aus der Ukraine. Sie waren in einem Hotel an der Heilbronner Straße und nutzten die kaum 300 Meter entfernte Einkaufsmöglichkeit für Bedürftige. Für den kleinen bhz-Tafelladen, der mit höchstens 40 bis 50 Quadratmeter Verkaufsfläche nicht auf massenhaften Andrang ausgelegt ist, war dies der ultimative Stresstest. Momentan sei die Situation wieder einigermaßen zu handhaben, sagt die Tafel-Leiterin Monika Borchwald.
Durchschnittlich etwa 100 Kunden nutzen die Feuerbacher Tafel täglich. Sechs Kunden werden gleichzeitig in den kleinen Tante-Emma-Laden gelassen, mehr nicht: Damit Konflikte beim Warten befriedet werden können, berichtet Borchwald, sei sie auch regelmäßig vor dem Tafelladen im Einsatz, spreche mit den Betroffenen und versuche, soweit dies möglich ist, zu deeskalieren.

Die Suche nach einem neuen Standort läuft
Für die Zukunft kündigt bhz-Werkhaus-Leiterin Petra Mack an, dass man mittelfristig nach einer größeren Immobilie für den Tafelbetrieb im Stuttgarter Norden Ausschau halte. Damit wolle man künftig sowohl den Beschäftigten und Ehrenamtlichen als auch den Kunden der Tafel mehr Platz bieten und so für Entspannung sorgen.

„Lebensmittel retten. Menschen helfen“ steht in rostroten Lettern an der Seite des Feuerbacher Tafel-Lieferwagens. Als sich in den 1990er Jahren die Tafel-Bewegung hierzulande ausbreitete, entwickelten die bhz-Verantwortlichen eine geniale Idee: Sie übernahmen das Konzept, noch gut genießbare Lebensmittel vor einem vorzeitigen Ende in der Mülltonne zu retten. Gleichzeitig verknüpften sie das Ganze mit einem inklusiven Ansatz: Sie schufen im bhz-Tafelladen langfristige Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderungen.

Das Erfolgsmodell wird im kommenden Jahr 25 Jahre alt. Zwölf Beschäftigte mit Handicap arbeiten innerhalb des Sozial-Projektes mit drei Hauptamtlichen und etwa 25 ehrenamtlichen Kräften zusammen. Ohne letztere wäre das Projekt nicht zu stemmen: Birsen Çiftçi hilft hier beispielsweise schon seit 1999 ehrenamtlich mit: „Es macht wirklich Spaß und ist mehr als ein reiner Zeitvertreib“, sagt die 58-Jährige und betont, wie wichtig auch in Zukunft die Unterstützung der Tafel ist.

Es kommen immer weniger Lebensmittel bei der Tafel an
Doch die horrend steigenden Kosten für Energie, Treibstoffe und Lebensmittel werden auch für die Tafeln zu einem Problem. Viermal pro Tag gehen die Fahrer und Beschäftigten auf Tour und sammeln die Lebensmittel ein, die nicht mehr in den Verkauf gehen sollen, aber noch gut essbar sind. „Doch viele Händler und Lebensmittelketten kalkulieren jetzt ganz genau. Vor allem beim Obst und Gemüse wird weniger gespendet“, sagt Borchwald. Auch bei den Backwaren kommen bei den Tafeln momentan weniger Produkte an.

Tafeln sind ein Spiegel der Gesellschaft
Gerät das Modell durch die wachsende Armut ins Rutschen? Werkhaus-Leiterin Mack wagt da keine Prognose: „Wir wissen derzeit nicht, wohin sich das noch entwickeln wird“, sagt sie. „Fakt ist, dass wir vor einer Riesenherausforderung stehen.“ Letztendlich sind die Tafeln auch nur Abbild der Gesamt-Entwicklung und bilden die wachsende Armut in der Gesellschaft ab: „Hier spiegelt sich im Kleinen das wider, was im Großen auf gesellschaftlicher Ebene stattfindet“, erklärt Mack.


Von Georg Friedel



INFO
Wer ein Herz für die Tafel des bhz hat, kann diese finanziell unterstützen: Das bhz-Spendenkonto hat die IBAN-Nummer DE06 6005 0101 0002 2228 00, BIC ist SOLDEST600L

Veröffentlicht am 25.10.2022