Seine Meinung wurde Karl Nothdurft zum Verhängnis:

Wie ein kleiner Stolperstein fürs Gestern Falschbehauptungen im Heute entlarvt...

Gunter Demnig, der Initiator der Stolpersteine, beim Verlegen des Steins für Karl Nothdurft in der Feuerbacher Fahrionstrasse. Bitte auf das Foto klicken, um die Fotogalerie zu starten. Fotos: feuerbach.de Bild 1 von 11: Gunter Demnig, der Initiator der Stolpersteine, beim Verlegen des Steins für Karl Nothdurft in der Feuerbacher Fahrionstrasse. Bitte auf das Foto klicken, um die Fotogalerie zu starten. Fotos: feuerbach.de

Es ist bereits der 55. Stolperstein, den der Stolperstein-Initiator und Kölner Künstler Gunter Demnig am vergangenen Montag in der Fahrionstraße im Beisein von zwei Schulklassen der Stufe 10 der Feuerbacher Realschule für immer in den Feuerbacher Boden eingelassen hat.

Er war kein Jude, hatte keine "Behinderung", war kein Roma und nicht homosexuell; der Feuerbacher Karl Nothdurft war ein einfacher Feuerbacher Bürger, von Beruf Schriftsetzer bei der Zuffenhausener Zeitung. 1941 wurde er, wie Millionen anderer Deutscher Männer, in die Wehrmacht eingezogen und kam schliesslich als Bewacher für Französische Kriegsgefangene nach Kehl, auf einen verhältnismässig sicheren Posten. Doch diese Sicherheit nutzte ihm letztendlich wenig: In vermeintlich vertrauter Runde tat er eines Tages einigen seiner "Kameraden" seine persönliche Meinung über das NS-Regime kund - er prophezeite den Untergang des Regimes und den Sieg der Amerikaner über Hitler-Deutschland (was wenige Jahre später ja auch genau so kam). Solch eine Denkweise öffentlich geäussert konnte 1941/42 allerdings tödlich sein. Karl Nothdurft wurde von einem dieser "Kameraden" denunziert, kam für diese "wehrkraftzersetzende" Aussage vor Gericht und wurde zur "Frontbewährung" an die Ostfront ins heutige Belarus entsandt, wo er 1943 schließlich an den Folgen des Einschlags einer Russischen Granate starb. All das, weil er in einer Arbeitspause ein einziges Mal seine Meinung geäußert hat.

Hildegard Wienand von der Feuerbacher Stolpersteininitiative, die bei dieser Gedenkveranstaltung zusammen mit ihrem Mann Heinz durchs Programm führte und diese (abgesehen von der obligatorischen kurzen Berufsverkehrsverspätung Gunter Demnigs) wie gewohnt perfekt organisiert hat, griff bei ihrem Vortrag vor den zahlreich erschienenen Jugendlichen und einigen interessierten Bürger*innen das Schicksal Nothdurfts mitunter als Beispiel auf, um es mit dem heute immer öfter von meist rechter oder verschwörungsideologischer Seite "umgewidmeten" Narrativ der vermeintlich "verbotenen Meinungsäusserung" in Bezug zu setzen.

Die heutige Verdrehungen von Tatsachen stehe in keinster Weise im Verhältnis zur Wahrheit, verharmlose die echte verbotene Meinungsäusserung im Dritten Reich und verleumdet somit ihre Opfer. Es sei ein grosser Unterschied, wenn man heute ein Individuum, eine Gruppierung oder ein ganzes Volk verbal 'totschlagen will' oder wenn man damals die Destruktivität und Lebensverachtung eines der verbrecherischsten Regime der Menschheitsgeschichte beim Namen nannte.

Gunter Demnig, bekannter Künstler und Initiator der mittlerweile weltweit in 31 Ländern - von Südamerika bis Osteuropa - verlegten "Stolpersteine", nahm in ähnlicher Weise Bezug auf die heutige Krisenzeit. Er sagte in einer kürzeren Ansprache, dass es gerade im Hinblick auf den heute wieder aufflammenden, oft blinden Antisemitismus, der seine Ursprünge in ebenjener lebensverachtenden Nazi-Ideoligie hat, der auch Karl Nothdurft und Millionen anderer Menschen zum Opfer fielen, wichtiger denn je sei, sich bewusst gegen solche Entwicklungen zu stellen. Aus diesem Grund sei ein Projekt wie das der Stolpersteine, das übrigens das grösste dezentrale Denkmal der Menschheit darstelle, heute wichtiger denn je.
Ein Stolperstein sei aber nie nur ein öffentliches Denk- und Mahnmal - es ist auch oft der einzige Ort, an dem Angehörige und Nachfahren der Opfer ihrer gedenken können, so der Kölner Künstler, der seit den Neunziger Jahren den Grossteil der weltweit über 105.000 verlegten Steine selbst in die Gehwege aller Herren Länder einsetzt. Abschliessend sei er zudem aber auch sehr dankbar, dass das Projekt der Stolpersteine heute eine Dimension angenommen habe, die er sich "nie hätte träumen lassen".


Veröffentlicht am 09.11.2023