Die Liste der präsentierten Künstler liest sich wie das Who is who der deutschen Kleinkunstszene: Seit 1980 gaben sich in der Feuerbacher Wildensteinstraße alle die Klinke in die Hand, was Rang und Namen hatte.
Anfang diesen Jahres haben sich Jürgen Krug und Karin Turba entschieden, ihren Kulturbesen altershalber zu schließen. Zeit für einen Rückblick auf eine bunte Zeit. Und die Entzugserscheinungen werden durch ein wunderbares Erinnerungsbuch gemildert.
An der Wand hängt noch eine Karrikatur vom wunderbaren Karl Valentin: „Ich freue mich, wenn‘s regnet. Weil, wenn ich mich nicht freue, regnet‘s auch.“ Eben! Und so haben Besenwirt Jürgen Krug, stets unverkennbar mit dem roten Schal, und seine Frau Karin Turba – die treibende Kraft im Hintergrund – einfach unbeirrt immer weitergemacht, bei ihrer Mission, die Kultur quasi ins eigene Wohnzimmer zu holen. Oder auch in den eigenen Weinberg. „Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit“, hat Valentin ebenfalls mal gesagt. Aber wie öde wäre das Leben ohne sie?
Es tut gut zu hören, dass man mit einer gewissen Hemdsärmligkeit und jeder Menge Kreativität sogar die deutsche Bürokratie umschiffen kann. Mal gab es Probleme mit dem Brandschutz und die Bude war einfach zu voll, mal mit der Bezeichnung „Besenwirtschaft“. Die darf nämlich nicht rund ums Jahr verwendet werden. Was aber tun, wenn‘s doch so viel Spaß macht? Von hochoffizieller Seite kam schließlich das salomonische Urteil: Das Kind erhielt kurzerhand einen anderen Namen, erzählt Krug: „Ein ‚Weinlokal mit Besen-Charakter‘ waren wir auf einmal. Und dann gings.“
Wie aber kamen Krug und Turba an ihre Künstler? Immerhin zeigt sich beim Blättern durch die gesammelten und stets liebevoll gestalteten Programme, dass im Kulturbesen jeder aufgetreten ist, der was auf sich hält. Kabarettisten, Mundartdichter, Schwabenrocker – Krug hatte sie alle: Schauspieler Ernst Konarek war da, die legendäre Frauen-Formation „Honey Pie“, Sprachspielkünstler Timo Brunke. „Wir sind überall rumgefahren und haben geguckt, wer uns gefällt ...“, verrät Krug. Will heißen: Oft traten die späteren Showgrößen in Feuerbach auf, noch bevor sie eigentlich zu großen Namen wurden. Und wer sich einmal ins Herz der Wirtsleute und ihrer Gäste gespielt hatte, der kam gerne immer wieder. Weil er dann praktisch schon zur Familie gehörte.
Eine nicht unwichtige Rolle spielte da sicher auch die Verpflegung. An die Schlachtplatte erinnern sich viele der Künstler noch Jahre später. Ortsunkundigen sei es leicht gefallen, den von außen eher unscheinbaren Kulturbesen zu finden, heißt es auch im Buch mehrfach: Man habe nur der Nase nach gehen müssen, sprich, dem Sauerkraut-Aroma hinterher. Karin Turba sorgte dafür, dass niemand hungrig nach Hause gehen musste, weder die Gäste noch die Künstler selbst. Und oft genug hätten Letztere auch die Gelegenheit genutzt, noch ein Wochenende in Stuttgart anzuhängen, dann gab es das Besuchsprogramm dazu. Selbst die Gage wurde vielfach in Form von Naturalien gezahlt: Vier Kisten von Krugs eigenem Wein und die Reste vom Festessen in die Tupper-Schüssel. Es geht so vieles, wenn man mit Leib und Seele dabei ist.
Mit-Buchherausgeber Eckhard Grauer, den viele als die fernsehbekannte Kunstfigur „Herr Leibssle“ kennen, erinnert sich an die einzigartige Atmosphäre der Auftritte: „Jahrzehntelang geschah dies auf einer Holzkiste, distanzlos vor mit 80 streckenweise sehr angezündeten Leuten im gschdopft vollen Wohnzimmer, ehe er (Krug) an der Stirnfront eine Bühne installierte.“ Und die Gäste verlangten vollen Einsatz: „Das Besenpublikum will auch die Soß zum Spätzle. Die merken sofort wenn nur heruntergenudelt wird.“ Kommödiant „LinkMichel“ bekam von Krug einen väterlichen Ratschlag mit auf den Weg: „Weißt du, junger Mann, vor 800 Leuten kann jeder spielen. Bei 80 trennt sich die Spreu vom Weizen.“ Und auch er kam danach immer wieder nach Feuerbach.
Zum Abschied haben all diese sprachgewaltigen Künstler den Hut in den Ring geworfen und Karin Turba und Jürgen Krug ein beeindruckendes Geschenk gemacht: Sie haben unter dem Titel „Der Besenregent – eine Hommage an eine Feuerbacher Kulturinstitution“ ein Erinnerungsbuch allererster Güte herausgegeben: So klingt es etwa, wenn Sprachkünstler Grauer den Besenwirt beschreibt: „Jürgen hat seinen Gesichtszügen einen Bahnhof bereitet: Die Augenfalten quer unter den wissend-ironischen Stirnrunzeln, die Mundwinkel wollen sich unter der Decke des weißen Schnauzers rauskuscheln.“ Der rote Schal aber, der kam als Weltklasse-Geschenk gegen Zugluft zu Krug. Der erste noch zufällig, doch dann griffen immer mehr Stammkunden die Idee auf. „Rote Socken habe ich auch, aber heute nicht an“, sagt er und wieder „kuschelt sich ein Lächeln raus“.
Das Buch kann über die Mail-Adresse kturba@posteo.de bestellt werden und über die Buchhandlung Schairer.