Der Wahlkampf geht in die heiße Phase und lässt wieder eine ganze Menagerie an Pappkameraden entlang der Straßen quasi aus dem Boden schießen: Da stehen die, die schon wichtig sind, neben denen, die es werden wollen.
Ordentlich geschminkt und coiffiert blicken sie mütterlich oder väterlich auf ein Volk herunter, das sich von der bürokratischen Schwergängigkeit in diesem unserem Land schwer gegeißelt fühlt. Und von der wahlbedingten Phrasendrescherei mehr geschüttelt als gerührt ist: „Chancen nutzen“ stand da auch schon mal oder auch „Stark in die Zukunft“. Ist es nicht auffallend, dass Wahlplakate stets ohne vollständiges Prädikat auskommen? Wer soll welche Chancen nutzen und vorallem: wie?
Klare Sache: Wir haben es hier mit der hochdeutschen Form des schwäbischen “M’r sott” zu tun, das – ja genau! – die Dinge beschreibt, die getan werden müssten, für deren Erledigung man aber immer noch auf einen Dummen wartet. Und während die Politik dem Fußvolk sonst gerne seine vermeintlichen Verfehlungen, seine geringer werdende Kinderzahl, sein steigendes Lebensalter, die vielen Urlaubstage und sein überaus lächerliches Streben nach dem Glück vorwirft, wird nun mit 0815-Pauschallösungen gewunken. Und alle ahnen schon jetzt: Es wird teuer nach der Wahl. Schon, weil man mitunter sogar versucht, seine Versprechen umzusetzen, aber dafür grundsätzlich die Rechnung ohne den Wirt gemacht hat.
Kein Wunder, dass sich so mancher in kindischen Spieltrieb flüchtet und die Nächte damit zubringt, dem Kandidaten seiner Wahl (oder Nicht-Wahl) wahlweise ein Alonzo- Bärtchen, Hasenzähne oder Segelohren angedeihen zu lassen. Das hilft zwar auch nicht, erleichtert aber ungemein. Dabei, pfui, ist das natürlich grober Unfug, denn die Auf- steller sind Eigentum der Parteien und ihr Verschönern ist Sachbeschädigung. Keiner braucht hinterher zu sagen, wir hätten das nicht klargestellt. Sollten sich aber irgendjemand befleißigt fühlen, unsere deutliche Warnung in den Wind zu schlagen: Frohes Schaffen! Ohnehin ist der Spuk aber auch am Wahltag, 9. Juni, noch nicht wieder vorbei, weil immer einige Kandidaten vergessen, ihre Wahlkampagne auch wieder abzuräumen. Wir anderen haben bis dahin einmal mehr gelernt: Wer die Wahl hat, hat eben auch die Qual der Wahlkampagne.
Aber, und hier reden wir jetzt mal Tacheles: Das soll niemand zum Anlass nehmen, nicht wählen zu gehen. Denn wir leben in Zeiten, in denen zu viele Seiten versuchen, Einfluss auf unsere Demokratie zu nehmen und das gilt es zu verhindern, mit allen Mitteln. Jede nicht abgegebene Stimme spielt Kräften in die Hände, die in aller Regel nichts Gutes im Schilde führen. Denn so schwer es uns die politischen Prozesse auch manchmal machen: Die Demokratie ist das einzige System, das sich die allermeisten von uns überhaupt vorstellen können. Setzen wir sie nicht aufs Spiel, leichtfertig, weil Politik und Bürokratie uns oft ordentlich Geduld abverlangen! Und beim nächsten Mal gibt es dann auch wieder eine Kolumne mit lustigem Ende, vielleicht sogar zum erschreckend farblosen Logo von „950 Jahre Feuerbach“...
(sm)