Es gibt naturgemäß immer weniger Menschen, die noch persönlich von der „alten Zeit“ berichten können, die Krieg und Nazi-Diktatur, aber auch die Dynamik des Wiederaufbaus miterlebt haben.
Utz Gernot Baitinger ist einer davon. Er hat Kontraste erlebt, die man in unserem sicheren und - zum grössten Teil - friedlichen Europa heute so (zum Glück) nicht mehr kennt. Daher hat er sich entschlossen, diese Erinnerungen in Form einer neuen fortlaufenden Reihe bei uns auf feuerbach.de mit allen zu teilen, die sich dafür interessieren.
Diese Reihe wird unsere Leserinnen und Leser ab sofort als „Zeitreise ins Damals“ in die unterschiedlichsten Zeiten des Fleckens führen - vom Wengerterflecken der „guten“ (und beschwerlichen) alten Zeit über traumatische Bombennächte in Luftschutzkellern bis hin zur Zeit des Neubeginns und darüber hinaus.
Im ersten Teil erzählt Utz Baitinger vom beschwerlichen Leben der Feuerbacher Küfer und Wengerter (heute würde man sagen: Fassmacher und Weinbauern) in der Zeit seines Großvaters, der eine Küferei und Mosterei im alten Feuerbach betrieb.
Viel Spaß bei unserer „Zeitreise ins Damals“!
Von Utz Baitinger
Feuerbach war seit Jahrhunderten ein Dorf von Weingärtnern („Wengerter“). Bei der Weinlese trugen diese ihre schweren „Butten“ (Troggefäße) über ganz schmale, nicht enden wollende Sandsteintreppen durch die steilen Weinberge, die man mit wohlgefügten steinernen Mauern in einigermaßen ebene Terrassen gegliedert hatte. So hatten auch die Steinbrecher zu tun, die aber trotz ihrer harten Arbeit arm blieben. Der Küfer dagegen war Respektsperson, da er nicht nur die Weinfässer herstellte und in Ordnung hielt, sondern auch den Wein überwachte und pflegte. Die Weinberge lagen am Lemberg, die Steinbrüche auf dem Killesberg, jenseits des Feuerbachs, und mitten im Dorf, gleich neben der evangelischen Kirche, lag die Werkstatt des Küfers.
Mein Großvater Albert Johannes Baitinger (1876-1956) betrieb in Feuerbach eine Küferei und Mosterei. Den Wein holte er in der Kelter ab und fuhr ihn mit seinem Fasskarren zu den Leuten, die sich entschlossen hatten, diesen Wein zu trinken. Der schwerfällige Fasskarren musste immer zu zweit von Hand gezogen werden. Manchmal half Jungfer Babette - „Bäbe“ genannt - eine einfache und hilfsbereite Seele, beim Schieben. Als es einmal nicht so recht voran ging, rief Johannes der Küfer ganz ungeduldig: „Schieb‘ Se, Bäbe!“ Für die Leute, die‘s hörten, klang diese Anrede schon damals antiquiert und altväterlich. Schadenfroh nannte man sie fortan „d’Schiebsebäbe“.
Beim Kunden angekommen, begann der Küfer seine Kunst des „Abschlauchens“. Er zog oben am Fass den Stöpsel vom Spundloch und steckte ein langes, oben abgebogenes kupfernes Rohr hinein, an dessen Ende ein Schlauch angeschraubt war, den er durch das Kellerfenster bis in das Spundloch im Fass des Weinkäufers führte. Einige energische Stöße mit dem Kupferrohr, und der Wein begann vor Schreck zu fließen!
Begonnen hatte die Feuerbacher Linie der Baitinger mit dem Bäcker und Kirchenpfleger Veit Baitinger (1620-1689), der von Unterjettingen nach Feuerbach gezogen war, um 1645 Barbara Saltzmann zu ehelichen. Später waren meine Vorfahren Küfer vom Vater auf den Sohn; man weiß von sechs Generationen. Ich selbst gehöre jetzt zu denjenigen, die den Wein nicht mehr pflegen müssen, sondern genießen dürfen.
Utz Gernot Baitinger wurde 1938 in Stuttgart geboren. Er verbrachte seine Kindheit in Feuerbach, über die er noch immer gerne berichtet. Nach dem Abitur in Frankfurt/Main studierte er Elektrotechnik an der Universität Stuttgart, wo er am Institut für Halbleitertechnik zum Dr.-Ing. promoviert wurde. Er arbeitete als Chief Scientist bei IBM in Böblingen, Zürich, Nizza, Paris und New York. Er war maßgeblich beteiligt an technischen Innovationen, wie den ersten Speicher-Chips und Mikroprozessoren, die unsere heutigen Handys, Tablets und das Internet erst ermöglicht haben. Er wurde von der Fakultät Elektrotechnik der Universität Karlsruhe und von der Fakultät Informatik der Universität Stuttgart zum Professor berufen. In Zusammenarbeit mit IBM gestaltete er den pädagogisch unterhaltsamen Spielfilm „Der größte und langsamste Computer der Welt“.