Begehbares Feuerbacher Gedächtnis

Leibniz-Gymnasium

Klagenfurter Straße 75

Realschule 1912 (Bild: Archiv Rieker) Bild 1 von 3: Realschule 1912 (Bild: Archiv Rieker)

Das „Leibniz“ kann auf eine lange Tradition zurückblicken. Es feiert im Jahre 2013 seinen 125. Geburtstag.

Am Anfang stand die 1886 gegründete „Privat-Reallateinschule für Knaben und Mädchen“, die sich so gut entwickelte, dass sie zwei Jahre später, jetzt als „Realschule Feuerbach“  von der Gemeinde übernommen wurde.

Der erste Unterrichtsraum befand sich im Hause der Buchbinderei Merkert in der Stuttgarter Straße, der sich aber bald als zu klein erwies. Deshalb bezog man nach einem kurzen Interim im „Karlsschüle“ (in der heutigen Grazer Straße) ein geräumiges Schulhaus, das der Fabrikant August Happold bauen ließ und später der Gemeinde schenkte. Das „Happoldstift“ steht heute noch in der Leobener Straße und ist als Außenstelle der Louis-Leitz-Schule nach wie vor ein  Schulhaus.

Im Schuljahr 1891/92 führten die Realschule und die Elementarschule zusammen bereits 108 Schülerinnen und Schüler.

Dann kamen den Eltern aber plötzlich Bedenken wegen der bisher eigentlich ganz selbstverständlich ausgeübten Koedukation. Es erfolgte die Trennung der Geschlechter und die Gründung der „Privattöchterschule Feuerbach“. Da Happolds Töchter diese Schule besuchten, war es klar, dass die Jungen weichen mussten. Sie wurden in der neu erbauten Bachschule untergebracht, die jetzt, nach nur einem Jahrzehnt,  bereits die vierte Station der Realschule war.

Der Bedarf an Schulraum stieg jedoch immer weiter in der rasant wachsenden Industriegemeinde. Da wollte man der Realschule, der man mittlerweile eine zweifellos erfolgreiche Zukunft voraussagen konnte, auch ein entsprechendes Ambiente bieten.

Man beauftragte Paul Bonatz, der schon damals ein Star unter den Architekten war, und seinen Kollegen Eugen Scholer mit Planung und Bau eines eigenen Schulhauses und der dazugehörigen Turn- und Festhalle. So entstand der prächtige dreiflügelige Bau in der damaligen Marktstraße, der zusammen mit der Festhalle, der Bismarckschule und dem Rathaus einen optisch gewichtigen, repräsentativen Schwerpunkt nördlich vom bisherigen Ortszentrum bildete.

Über die kunsthistorische Einordnung des Hauses sind sich die Experten bis heute nicht einig. Klassizistische Elemente sind vorherrschend und geben der Frontfassade eine klare Struktur. Sie werden ergänzt durch dekorative Figuren, die dem Jugendstil zuzuschreiben sind. Auffallend ist, dass sich Bonatz sich immer wieder deutlich auf Schulbauten bezieht, die er kurz vorher geschaffen hat, zum Beispiel auf die Stuttgarter Lerchenrainschule und auf Schulen in Göppingen und Aalen.

Zusammen mit der Turnhalle und der Platzanlage kostete der Bau 634.058 Goldmark, was die Feuerbacher Stadtväter aber nicht schrecken konnte, zumal man getreu dem ortsüblichen Pragmatismus die beiden Gebäude erst einmal als Schauräume für die große Industrie- und Handelsausstellung benutzte, die im Jahre 1912 so sehr bewundert wurde. Sogar  König Wilhelm II. war da und adelte sozusagen durch seinen Besuch das schöne Haus.

Im Jahre 1913 durften dann endlich die Schülerinnen und Schüler einziehen. Die Mädchen verließen ihr Happoldstift und bezogen den Südflügel, die Jungen belegten das restliche Haus.

Die Trennung der Geschlechter wurde aber räumlich  weiterhin streng beachtet. Und das blieb so bis zum Jahre 1956.

 

Nach dem Ersten Weltkrieg kam die große Zeit der Realschule. Rektor Otto Knapp hatte ihren Ausbau zur Oberrealschule energisch und zielbewusst vorangetrieben und gleichzeitig noch den neuen Zug des Reform-Realgymnasiums mit der Sprachenfolge Französisch-Latein-Englisch eingeführt. 1922 fand das erste Abitur in Feuerbach statt, was der Anstalt hohes

Ansehen und großen Zuspruch aus der ganzen Umgebung eintrug.  

Im Jahre 1923 wurde eine weitere Schule im Erdgeschoss untergebracht, die „Kaufmännische Berufsschule“.

Das Dritte Reich überstand die Schule mit Mühe. Ein Hort des Nationalsozialismus war die „Oberschule für Jungen Feuerbach“, wie sie jetzt nach der allgemeinen Gleichmacherei genannt wurde, nicht. Die Schüler gerieten aber doch immer mehr unter den Einfluss der verhängnisvollen Ideologie, zumal der „Dienst“ sie oftmals so bequem ihrer schulischen Verpflichtungen enthob. Die Katastrophe des Zweiten Weltkriegs brachte dann wie überall großes Leid über Schüler- und Lehrerschaft. Ein geordneter Unterricht war bald nicht mehr möglich, da die  jüngeren Lehrer und die älteren Schüler eingezogen wurden. In manchen Klassen fielen bis zu 90% der Schüler. Im Hause wurden jetzt Luftwaffenhelfer stationiert, die zum großen Teil gar nicht zur Schule gehörten.

Am 15. März wurde das Haus durch einen Luftangriff schwer beschädigt. Der Südflügel wurde weggesprengt, das Dach stürzte ein und durchschlug den dritten und zweiten Stock, Regen durchweichte die Böden. Man konnte sich nicht vorstellen, dass hier jemals wieder Unterricht stattfinden sollte.

 

Nach dem Ende des Krieges ging es aber doch weiter.  Die Aufräumarbeiten und notdürftige Reparaturen kamen, wenn auch langsam, voran. Noch benutzbare Räume musste man mit anderen Schulen teilen. Schichtunterricht bis spät in den Abend war die Regel.

Noch jahrelang blieb das Haus eine Baustelle. Entspannung gab es erst Mitte der fünfziger Jahre, als das jetzt zur Vollanstalt ausgebaute Mädchengymnasium, das heutige Neue Gymnasium, sein eigenes Schulhaus erhielt und auch die Gymnasien in Zuffenhausen und Kornwestheim für Entlastung sorgten. 

Wie alle Oberschulen im Land erhielt die Schule die Bezeichnung „Gymnasium“.

Darüber hinaus wurde das „Gymnasium Stuttgart-Feuerbach“ im Jahre 1957 vom Kultusministerium als „besonders bedeutende Schule“ anerkannt, und anlässlich ihres 75-jährigen Jubiläums wurde der Anstalt im Jahre 1964 vom Gemeinderat der Name „Leibniz-Gymnasium“ verliehen. 

Im selben Jahr zog die Kaufmännische Berufsschule, die heutige „Louis-Leitz-Schule“, aus,  und damit stand der gesamte große Bonatzbau erstmals dem Leibniz-Gymnasium allein zur Verfügung.

Das schöne denkmalgeschützte Haus erfuhr seither noch zahlreiche Veränderungen, die vor allem bei zwei großen Sanierungen in den sechziger- und achtziger Jahren durchgeführt wurden. Die Außenanlagen mussten modernen Sicherheitsvorschriften angepasst werden, wobei einiges an ihrem ursprünglichen Erscheinungsbild unwiederbringlich verloren ging. Im Innern waren  immer wieder Kompromisse zwischen der Denkmalverträglichkeit und den Anforderungen eines modernen Unterrichts einzugehen. 1970 wurde die Koedukation eingeführt. Auch sie machte etliche Umbauten nötig. Der Mittagstisch erforderte, was zu den Zeiten eines Paul Bonatz undenkbar gewesen wäre, eine Küche. Aber es ist doch erstaunlich, wie sehr der Charakter und die Grundsubstanz des nunmehr hundertjährigen Hauses erhalten blieben.

Wie gut sich ein historisches Gebäude und moderne Kunst vertragen, wird an der Schwerpunkt-Galerie des Leibniz-Gymnasiums sichtbar, einer eigenen und in Baden-Württemberg einmaligen Kunstgalerie, die regelmäßig Ausstellungen zeitgenössischer Malerei und Plastik zeigt.

 Im April 1987 wurde der 75. Geburtstag des Hauses mit einer Galerie-Ausstellung gefeiert. Dabei verzehrte die versammelte Schulgemeinde eine Nachbildung „ihres“ Bonatzbaus in Gestalt einer Riesentorte. Sie hat ihn eben „zum Fressen gern.“

Im August 2001 wurde erneut eine Generalsanierung gestartet, in deren Rahmen sämtliche Decken runderneuert wurden. Die Klassenzimmer erhielten Schall dämmende Platten sowie eine neue Beleuchtung. Mehrere Foyers wurden wieder mit dem ursprünglichen Bonatzschen Stuckdecken versehen. Die so typischen Schablonenbänder in den Fluren und Treppenaufgängen wurden in langwieriger Handarbeit nachgezeichnet. Im Sommer 2012 werden diese nun zwölf Jahre andauernden Arbeiten abgeschlossen werden.

Als willkommenes Nebenprodukt dieser mit viel Baustaub und Zittern, ob der Schulbetrieb auch rechtzeitig begonnen werden kann, verbundenen Sanierung können die Komplettverkabelung sowie die Einrichtung modernster naturwissenschaftlicher Räume betrachtet werden. Somit ist das Traditionsgebäude das mit am besten ausgestattete, allgemein bildende Gymnasium in Stuttgart.

Im Jahr 2005 konnten  durch reichlich fließende Finanzmittel des Bundes wie der Stadt die Schulküche komplett neu und mit modernsten Geräten versehen eingerichtet werden.

Pünktlich zum Jubiläumsjahr wird der Bonatzbau im Sommer neu angestrichen werden und sich somit als gut erhaltener Jubilar der Feuerbacher Bevölkerung präsentieren.

 

Texte: R. Albrecht, O. Fischer

 

Literatur:
Festschrift 75 Jahre Gymnasium Stuttgart-Feuerbach 1964
Festschrift 100 Jahre Leibniz-Gymnasium Feuerbach 1988
Ursel Bruy: Raster und Voluten: Das Leibniz-Gymnasium und die Turn- und Festhalle in Stuttgart-Feuerbach. Ein Frühwerk von Paul Bonatz. 2009. ISBN-Nr. 978-3-9810953-6-4


Weitere Informationen: www.leibniz-gymnasium-stuttgart.de