Begehbares Feuerbacher Gedächtnis

Stuttgarter Straße

Stuttgarter Straße / Feuerbacher Talstraße

Blick von der Hohewartstraße in die Stuttgarter Straße 2012 (Bild 1: Arendt) Bild 1 von 12: Blick von der Hohewartstraße in die Stuttgarter Straße 2012 (Bild 1: Arendt)

Die Frage, wer sich vor 2000 Jahren auf der heutigen Stuttgarter Straße bewegt hat, kann so einfach nicht beantwortet werden, da sowohl die historiografische als auch archäologische Quellenlage keine oder nur unvollständige Antworten bereithält. Vielleicht waren es bereits einzelne um die Zeitenwende im Feuerbacher Tal siedelnde keltische Gruppen (nachgewiesen als gelegentliche Nutzer der Fliehburg auf dem Lemberg durch Grabungen Goesslers im Jahre 1908), die  diese Achse entlang dem Feuerbach als Feldweg zum Transport von Wirtschaftsgütern benutzt haben könnten. Die Kelten wurden aber im Laufe des 1.Jh. vertrieben oder integriert von den Römern, welche aus militärisch-strategischen Gründen das heutige südwestdeutsche Gebiet zur Sicherung ihrer Rhein-Donau-Grenze okkupierten und mit dem bis Mitte des 2.Jh. sukzessive erbauten Limes die römische Provinz Obergermanien vom Gebiet des „barbarischen“ Germaniens abgrenzten.
 „Architekt der römischen Herrschaft im heutigen Südwestdeutschland“ war der flavische Kaiser Vespasian, dessen Regierungszeit von 69 bis 79 n.Chr. andauerte. Er veranlasste den Bau erster Heeresstraßen in diesem Gebiet, um rasche Truppenbewegungen und den sicheren Transport kriegswichtiger Güter, später auch als Voraussetzung für die bis in die entlegensten Gebiete funktionierende römische Verwaltung, die Verteilung von Wirtschaftsgütern  zu ermöglichen. Zahllose Meilensteine (1 Meile=1478m) dienten der besseren Orientierung. Der Archäologe und Heimatforscher Oscar Paret (1889-1972) bezeichnet die Wege der frühschwäbischen Zeit innerhalb des Ortes und hinüber zu den Nachbardörfern mit besseren oder schlechteren Feldwegen. „Da waren die alten Römerstraßen mit ihren Steinvorlagen, so auch die von der Hohwart nach Feuerbach herab und weiter nach der Steig bei Cannstatt ziehende, schon etwas Besonderes (Bilder 9 und 11).“
Unter der Ägide des Vespasian-Sohnes Domitian, dessen Kaiserzeit von 81 bis 96 n.Chr. währte, wurde der Bau großer Verbindungsstraßen zwischen den Heerlagern und Kastellen vehement fortgesetzt. Es galt, die bedeutenden Standorte Mainz, Straßburg und Augsburg, den Rhein mit der Donau zu verbinden. So entstand dabei mit dem Römerkastell Clarenna auf der Altenburg in Cannstatt, ein Militärstützpunkt für die 500 Mann starke Reitertruppe Ala I Scubulorum, ein wichtiger Knotenpunkt für verschiedene Fernstraßen. Hier schloss sich u.a. die Militär-/Consularstraße Straßburg-Pforzheim-Cannstatt an die bereits bestehende Verbindung Mainz-Augsburg, „die wichtigste Verkehrsader in unserem Raum“, an.
Es gibt nun verschiedene Hinweise (Bild 12), dass diese Consularstraße durch die Feuerbacher Markung geführt wurde, dass die auf früheren Steinbelag hinweisende Steinstraße („alter Postweg“)/Hohewartstraße Teil dieser Römerstraße gewesen und in die Stuttgarter Straße hinein fortgesetzt worden  ist. Für diese Annahme sprechen Indizien: der geradlinige Verlauf dieser drei Straßen, erkennbar sowohl auf dem Feuerbacher Urplan von 1826 (Bild 10), der Karte von Groß-Stuttgart (Bild 11) als auch auf den aktuellen Stadtplänen, entspricht dem Prinzip der geradlinigen Routenführung römischer Straßen. Auch das aus 1930er Jahren stammende Bild 7 lässt noch die gerade Straßenverbindung der Stuttgarter in die Hohewartstraße erkennen, und der Archäologe Holger Baitinger bestätigt: „Durch Feuerbach bis zur Prag geht der heutige Weg deutlich auf den römischen zurück.“ Auch Oscar Paret vertritt diese Linie: „Das zeigt deutlich der geradlinige Abstieg nach Feuerbach… Durch Feuerbach leichte Verbiegung der alten Linie. Kurz vor dem Bahnhof Abwinklung nach Osten;“ Und die Recherchen des Historikers Kleemann unterstützen unsere Überzeugung: „Eine der wichtigsten (römischen) Militärstraßen, kunstvoll mit dauerhafter Steinunterlage gefestigt, führte von Straßburg her über Feuerbacher Boden im zuge der Hohewart- und Stuttgarter Straße zur Prag, dem (Cannstatter) Kastell zu.“
Römerzeitliche Ziegelstein-Funde einer Villa rustica (mit zinnenen Röhren in Richtung Högenbrünnele) in der unteren Stuttgarter Straße sowie ein Beil und Wagenteile, entdeckt anno 1911, an der Ecke Stuttgarter Straße/ Klagenfurter Straße,  erhärten diese These.
Seit nahezu 2000 Jahren, davon zwischen 90 und 260 n.Chr. während der römischen Herrschaft, ist also diese Hauptachse Feuerbachs, die heutige Stuttgarter Straße, ein bedeutender Verkehrsweg.
Nach Heiner Kirschmer waren „die wichtigsten Straßen als Pflasterstraßen (Bild 9) ausgebaut, ab dem 2.Jahrhundert n.Chr. als Kiesstraßen mit einem festgelegten Aufbau aus mehreren Schichten unterschiedlichen Materials.“ In der Regel verwendete man dafür Schotter und Kies, die Straßen waren leicht gewölbt und 12 bis 15 Meter breit, die übliche Fahrbahn davon maß 5 bis 6 Meter und war zunächst mit einem dauerhaften Steinbelag ausgestattet  (Bild 9, Beispiel einer römischen Straße bei Lyon).
Es lag deshalb nahe, dass die um das Jahr 500 n.Chr. in das Feuerbacher Tal einfallenden elbgermanischen Stämme der Alamannen/Sueben (Vorfahren der Feuerbächer) beidseitig dieser Achse mit ihren Behausungen (es waren strohgedeckte Langhäuser aus Holz, s. Bild 2) ein Dorf gründeten, welches damals bekanntlich noch nicht den Namen Feuerbach trug. Dieser Name  ist erst seit 1585 verbürgt.
Damit erhielt dieser Ort den Charakter eines Straßendorfes ohne ein ausgeprägtes Zentrum. Die Besiedelung hatte dann ihren Schwerpunkt südlich dieser Achse, dort breitete sich im Laufe der Jahrhunderte das Oberdorf um die Stadtkirche herum aus.
Mitte des 19.Jahrhunderts begann am östlichen Ende dieser Hauptstraße die Feuerbacher Industrialisierung mit der  Ansiedelung bedeutender Unternehmen wie Jobst, Hauff und Roser. Auch der erste Feuerbacher Bahnhof hatte seinen Standort genau am unteren Ende dieser Straße, welche trotz der Industrie- und Wohnbebauung im Ostteil des Ortes die zentrale Straße Feuerbachs blieb.
Im Jahre 1904 wurde der bisherige schienengleiche Bahnübergang von der unteren Stuttgarter Straße zur Cannstatter Straße (heute: Siemensstraße) neben dem alten Bahnhof unterbrochen. Als Ersatz diente die Unterführung mit der Verbindung Bismarckstraße (heute: Wiener Straße) zur Talstraße (heute: Borsigstraße) und damit zu dem entstehenden Gewerbegebiet.
Zur Verbindung der Süd- mit der Nordseite der Stuttgarter Straße mussten besondere Maßnahmen eingeleitet werden. So hatte das Gebäude des Hufschmieds Bauer (Bild 8) die Weiterführung der damaligen Marktstraße zur Bismarckstraße (heute Wiener Straße) verhindert und musste deshalb 1907 weichen. Bereits 1903 hatte es diesen Gemeinderatsbeschluss gegeben: „Um die Verlängerung der Marktstraße von der Stuttgarter Straße aus gegen Norden zu ermöglichen, muss das Gebäude des Schmieds Bauer abgebrochen werden. Da zur Erwerbung dieses Hauses samt Garten 28.000 Mark in Aussicht genommen sind, wird den hinter diesem Anwesen liegenden Güterbesitzern, welche an der Weiterführung der Marktstraße ein Interesse haben, eröffnet, dass von ihnen ein gemeinsamer Betrag von mindestens 20.000 Mark erwartet wird.“ Das Verfahren dauerte aber dann noch vier Jahre bis zur endgültigen Regelung. Bild 7 zeigt die danach entstandene Kreuzung bei dem ehemaligen Gasthof Hirsch (heute Klagenfurter Straße).
Seit 1909 fuhr auch die Feuerbacher Straßenbahn durch die Stuttgarter Straße, in der Geschäfte, Apotheken, Banken, zahlreiche Gasthäuser und sogar ein Kino der Bevölkerung ihren Dienst anboten.
Die Veränderungen der Stuttgarter Straße im Laufe des 20.Jahrhunderts sind auf den Bildern 3 bis 6 und 1 nachvollziehbar.
Während in grauer Vorzeit diese einstige Dorfstraße „Lange Gasse“ genannt wurde, trug sie im Dritten Reich von 1933 bis1945 vorübergehend den Namen Adolf-Hitler-Straße.
Die Luftangriffe während des Zweiten Weltkrieges haben so manches Haus verschwinden lassen, und die Neubebauung sowie 1953 der Ersatz des anstelle des gewalzten Schotters einst so fortschrittlichen Kopfsteinpflasters durch einen Gussasphaltbelag haben den Charakter der Straße verändert,  sie ist aber die Hauptstraße Feuerbachs geblieben.
Auch mit der Verlegung der Straßenbahn im Jahre 1990 aus der Stuttgarter Straße heraus, mit der Einbahnregelung des Verkehrs und mit der Baumbepflanzung hat die Stuttgarter Straße ihre Bedeutung nicht verloren, sondern ist „Mittelpunkt bürgerschaftlicher Begegnung“ (R. Adam) geworden und hat deshalb an Attraktivität gewonnen; in der unteren Stuttgarter Straße fanden inzwischen Supermärkte ihren Platz und verschoben den Schwerpunkt des Publikumsverkehrs ein Stück weit dorthin.

Beim Gebäude Stuttgarter Straße 95 ist eine Informationstafel angebracht.


Quellen: Rolf Adam, Holger Baitinger, Ute und Peter Freier, Oswald Hesse, Richard Kallee, Heiner Kirschmer, Oscar Paret, Holger Sonnabend, Christian Vogelsang, „Beschreibung des Oberamts Leonberg“, Chronik Feuerbach