Lebensfreude, Altersweisheit... und ganz viel Mutterwitz

"Altweiberwohnen": Gespräche und Fotografien über das Wohnen im Alter

Fotos: Susanne Müller-Baji Bild 1 von 5: Fotos: Susanne Müller-Baji

Zu einer interessanten Autorenlesung mit kleiner Weinprobe lädt das Quartier Feuerbacher Balkon diesen Donnerstag, am 08. Oktober, junge und alte Interessierte herzlich ein.

Wenn Ulrike Scherzer ihrem Buchprojekt “Altweiberwohnen” berichtet, sitzen indirekt auch die porträtierten alten Damen mit am Tisch und erzählen von ihren Wohnwelten. Die Lesung am Donnerstag im Feuerbacher Quartiershaus verspricht einen Abend voller Mutterwitz, Altersweisheit – und vielleicht gibt es gar wertvolle Denkanstöße für den nächsten Lockdown.

Wie mag es sein, wenn man so viel Zeit an einem Ort verbracht hat, dass man mit ihm quasi zu einer Einheit verschmolzen ist? Autorin, Architektin und Städteplanerin Ulrike Scherzer und Fotografin Juliana Socher sind der Frage nachgegangen und haben 19 Seniorinnen befragt, fast alle um die 90 Jahre alt. Entstanden ist das Buch “Altweiberwohnen – Gespräche und Fotografien über das Wohnen im Alter” und jedes der Kapitel trägt nicht nur ein ganzes Leben, sondern auch ein eigenes Weltbild in sich.

Man entdeckt Wohnräume voller Erinnerungen. Natürlich gab es auch Schicksalsschläge, doch die liebenswerten Bewohnerinnen haben es faustdick hinter den Ohren – trotzdem oder gerade deshalb: Trude B. (89) darf etwa nach einem Schlaganfall nach Hause, weil die Tochter in der Nähe wohnt und Ärztin ist. Zur Sicherheit wird die alte Dame per Babyphone überwacht. “Aber ich habe nachts auch mal gerne laut Musik gehört und dann haben wir es wieder abgebaut,” erzählt sie knitz.
Voller Mutterwitz und Lebensfreude ist das Buch und man lernt: Über Alterseinschränkungen jammert man nicht, man arrangiert sich: Margaret R. (95) begreift die Treppe in ihrem Haus nicht als Hindernis, sondern “als wichtiges Turngerät”: “Die Treppen halten mich frisch, also... so frisch wie möglich. Ich will das jetzt aber auch nicht überbetonen.”

Ulrike Scherzer, Honorarprofessorin an der Stuttgarter Universität, erzählt, dass sie das Thema Wohnen im Alter immer wieder in ihren Vorlesungen aufgreife, bis vor kurzem auch im Studiengang “Integrierte Gerontologie”, der aber wenig nachgefragt worden sei. Sie zieht ihre eigenen Schlüsse aus “Altweiberwohnen”: “Ich bin jetzt Ende 50, da überlegt man schon, bleibt man, wo man ist, oder verändert man sich noch mal komplett.”

Das Buch hätte bereits im März im Quartier Feuerbacher Balkon vorgestellt werden sollen, jetzt ist es endlich soweit. Durch die Abstandsregeln ist die Zahl der Plätze begrenzt. Quartierskoordinatorin Andrea Kühn verspricht, dass man eine weitere Veranstaltung in Erwägung ziehen werde, falls es mehr Interessierte geben sollte. Schon deshalb ist aber die Anmeldung unter Telefon 81 47 79 102 oder andrea.kuehn@samariterstiftung.de zwingend erforderlich.
Andererseits verleiht der Lockdown dem Buch eine weitere, fast philosophische Tiefe: Mit einem Mal war der Aktionsradius für jedes Alter auf die eigenen vier Wände begrenzt. Scherzer reagiert verblüfft: “Von dieser Seite habe ich das noch gar nicht betrachtet.” War es schwer, so inspirierende und beherzte Damen zu finden? Es seien einige Verwandte darunter, sagt Scherzer; und dann habe man den Kreis über Empfehlungen ausgeweitet. Als Eisbrecher hätte in der Regel ein Plausch bei Kaffee und Kuchen fungiert: “Wir mussten Unmengen Kaffee trinken!” lacht sie.

Als das Buch nach rund zweijähriger Vorarbeit erschien, waren ein paar der Frauen bereits verstorben, aber bei aller Trauer ist es auch eine schöne Erinnerung für die Hinterbliebenen. Darin stellt die 91-jährige Marie-Louise M. fest: “Übrig bleiben ist auch schön. Ich habe viel Beschäftigung. Ich sag immer: Ich brauch noch zehn Jahre.” Und das ist, was man aus dem Buch und vielleicht auch von der Lesung mitnimmt: Dass vor dem Alter ein bewegtes Leben steht, das mit dem Alter nicht einfach endet.

Info:
Die Lesung findet am Donnerstag, 8. Oktober, um 18.30 Uhr im Service- und Quartiershaus Feuerbach, Kitzbüheler Weg 7, statt. Das Buch “Altweiberwohnen” ist im Residenz Verlag erschienen, ISBN 978-3-7017-3393-4.

Von Susanne Müller-Baji

Veranstalter:
Feuerbacher Stiftung - ZEIT FÜR MENSCHEN Service- und Quartiershaus Kitzbüheler Weg 7, 70469 Stuttgart
Anmeldung bei Andrea Kühn: Tel. 0711 81 47 79 102 info@feuerbacher-stiftung.de
Der Eintritt ist frei! Um Spenden wird gebeten.

Veröffentlicht am 05.10.2020