„Uns wird der Müll vor die Füße geworfen“

Interview mit AWS-Chef Markus Töpfer zu den Müllproblemen in Stuttgart und Feuerbach

AWS-Chef Markus Töpfer. Fotos: Georg Friedel Bild 1 von 2: AWS-Chef Markus Töpfer. Fotos: Georg Friedel

Der zunehmende Müll macht nicht nur den Feuerbacher Bürgern und auch Einwohnern in vielen anderen Stadtbezirken zu schaffen, er frustriert auch die Mitarbeiter des Eigenbetriebs Abfallwirtschaft Stuttgart (AWS).

Doch was sagt eigentlich dessen Chef zu dieser Entwicklung? Wir haben mit Markus Töpfer über Abfall, Respekt und einen Generalplan Sauberkeit gesprochen.
Seit dem 1. Februar dieses Jahres ist Markus Töpfer Geschäftsführer des Eigenbetriebes Abfallwirtschaft Stuttgart. Er fahre regelmäßig mit den Kollegen raus, um die Arbeit und Probleme vor Ort kennenzulernen, sagt er. An die schwäbische Mentalität müsse sich der Hesse noch gewöhnen, wie zum Beispiel den Spruch: „Net bruddelt, isch globt gnug.“


Frage: Herr Töpfer, es gibt Anlass zur Sorge: Die Stadt vermüllt und verwahrlost immer mehr. Was sagen eigentlich „Ihre“ AWS-Beschäftigten dazu? Sie müssen das Ganze ja beseitigen.
Antwort: Unsere Beschäftigten sind in der Tat etwas frustriert. Sie haben den Eindruck, dass da etwas auf ihrem Rücken ausgetragen wird. Natürlich ist das auch unser Job: Wir sind diejenigen, die hier durchputzen. Allerdings ist unser Eindruck, dass im öffentlichen Raum die Respektlosigkeit zugenommen hat. Und das bekommen auch unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu spüren.
Frage: Wie zeigt sich das?
Antwort: Unseren Leuten wird mitunter der Müll regelrecht vor die Füße geworfen. Auch mit dem Hinweis: Räumt es weg, dafür seid ihr ja da! Diese entwürdigende Ansprache und die damit verbundene Respektlosigkeit haben zugenommen. Und das frustriert logischerweise unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der Stadtreinigung schon.
Frage: Woher kommt diese Einstellung? Gerade jetzt, wo wir ein hartes Pandemie-Jahr überwunden haben, toben sich manche auf Kosten anderer aus statt aufeinander Rücksicht zu nehmen. Im Englischen gibt es den Begriff Littering, also das achtlose Zumüllen des öffentlichen Raumes.
Antwort: Das Littering gab es vorher schon. Das ist kein coronabedingtes Phänomen. Die Landeshauptstadt Stuttgart hat ja mit dem Projekt „Sauberes Stuttgart“ auch darauf reagiert und den Eigenbetrieb Abfallwirtschaft Stuttgart (AWS) besser ausgestattet.
Frage: Aber muss das Programm „Sauberes Stuttgart“ nachjustiert oder vielleicht sogar ganz in die Tonne getreten werden? Denn die anfänglichen Erfolge scheinen doch im Lichte der aktuellen Entwicklung sehr zu verblassen.
Antwort: Ganz im Gegenteil. Allein durch die zusätzlich finanzierten Personalstellen haben wir den Reinigungs-Rhythmus verbessern und auch zusätzliche Behälter aufstellen können. Ich glaube, einige Menschen in Stuttgart nehmen gar nicht wahr, dass wir einige Ecken in Stuttgart teilweise im Dreischichtbetrieb sieben Tage die Woche reinigen. Das sind natürlich in erster Linie die Hotspots in der Innenstadt.
Frage: Aber was hat „Sauberes Stuttgart“ bisher unterm Strich gebracht?
Antwort: Es wurden insgesamt 100 zusätzliche Stellen geschaffen und auch mehrere Fahrzeuge angeschafft. In den Bezirksbeiräten, wo ich mich derzeit gerade vorstelle, bekomme ich unisono die Rückmeldung, dass das Programm Wirkung gezeigt hat und dass sich in der Vergangenheit einige Verbesserungen eingestellt haben.
Frage: Andererseits haben viele Bürger das Gefühl, die Sache läuft momentan ziemlich aus dem Ruder. Und ist der Geist erst einmal aus der Flasche, bekommt man ihn bekanntermaßen schlecht wieder hinein.
Antwort: Ja, das stimmt, ein Teil der Verbesserungen wurde durch Corona konterkariert. Dass dieses Problem gerade so hochkocht, ist sicherlich auch dem Druck geschuldet, der auf dem Kessel durch den monatelangen Lockdown lag. Wir haben deshalb auch aktuell reagiert, Sofortmaßnahmen an Wochenenden ergriffen, stellen an einigen Plätzen zusätzliche Müllbehälter und Toiletten auf und fahren Sonderschichten mit Kehrmaschinen.
Frage: Aber sind die AWS-Beschäftigten überhaupt momentan in der Lage, die Stadt in der Fläche sauber zu halten oder ist das mit der jetzigen Personaldecke schlichtweg eine dauerhafte Überforderung?
Antwort: Sagen wir mal so: Wenn wir in einem Normalzustand wären, wären wir in der Lage, das so zu machen, wie es sich alle wünschen. Wir sind aber im Moment nicht in einem Normalzustand.
Frage: Also müsste man doch mehr machen, als nur mit einem Notfallplan darauf zu reagieren. Denn Sicherheit, Sauberkeit und Lebensqualität hängen ja eng miteinander zusammen und sollten ganzheitlich betrachtet werden.
Antwort: Grundsätzlich ja, aber andererseits stellt sich rein betriebswirtschaftlich die Frage: Ist es sinnvoll in einer Sondersituation wie jetzt, das Personal weiter aufzustocken? Wir versuchen dieses Dilemma so zu lösen, dass wir im Moment durch Mehrarbeit und Sonderschichten die zusätzlichen Aufgaben abdecken.
Frage: Wie sieht das konkret aus?
Antwort: Wir haben über die Wochenenden eine Rufbereitschaft eingerichtet. Den normalen Alltagsbetrieb haben wir davon abgekoppelt, denn er soll durch diese Zusatzmaßnahme in keiner Weise beeinträchtigt werden.
Frage: Wie groß ist diese Rufbereitschaft, die bei Bedarf an Wochenenden angefordert werden kann?
Antwort: Das sind drei Teams. Jedes dieser Teams besteht aus einem Teamleiter, drei Mitarbeitern und einer Kehrmaschine. Maximal stehen an den Wochenenden also zwölf Mitarbeiter und drei Kehrmaschinen zur Verfügung. Wenn die Meldung kommt, fährt der Einsatzleiter raus, schaut sich den Grad der Verschmutzung an und entscheidet dann, wie viele Kräfte benötigt werden. Ich möchte mir aber nicht vorstellen, wie es wäre, wenn wir jetzt mit dem alten Personalstand von vor drei Jahren unterwegs wären. Dann wären all die Dinge wie die Rufbereitschaft schlicht nicht möglich. Wir werden dieses Modell jedenfalls zunächst bis Ende September so beibehalten.
Frage: Gibt es schon ein Gesamtkonzept oder Generalplan, wie die Stadt dieses Problem grundsätzlich besser in den Griff bekommt?
Antwort: Da bin ich der falsche Ansprechpartner. Wir von der AWS bringen natürlich unsere Fachexpertise ein und machen Vorschläge, was wir rund um das Thema Stadtsauberkeit für sinnvoll halten. Das ist nur ein Teil der Lösung. Das Gesamtkonzept müssen die politischen Gremien, die Fachämter und die Rathausspitze entwickeln und beschließen. Wir sind dann natürlich an der Umsetzung beteiligt.
Frage: Aber wie lauten Ihre Vorschläge?
Antwort: Ich sage gleich: Größere Abfallbehälter aufzustellen, ist sicherlich keine langfristige Problemlösung. Das ist ein Mittel von vielen, um den Druck ein wenig rauszunehmen. Am Marienplatz haben wir aktuell auch mobile Toilettenhäuser aufgestellt. Im Herbst müssen wir das Ganze analysieren und unsere Schlüsse daraus ziehen. Es gab auch einen runden Tisch, zu dem Bezirksvorsteher Bernhard Mellert aus Stuttgart-West gela
den hatte. Da waren das Amt für Öffentliche Ordnung, die Polizei, wir von der AWS, aber auch die Jugendpflege, Sozialarbeit, Respektlotsen und Anwohner dabei. Grundsätzlich ist das der richtige Weg, denke ich.
Frage: Offenbar scheinen sich immer mehr Menschen daran zu gewöhnen, einen Teil ihrer Feieraktivitäten ins Freie zu verlegen, aber auch einen Teil ihrer Mahlzeiten unter freiem Himmel und nicht mehr am heimischen Esstisch oder im Restaurant einzunehmen. Zeigt sich da nicht ein massiver Kulturwandel, auf den die Stadt entsprechend reagieren muss?
Antwort: Natürlich sind diese ToGo-Verpackungen ein Riesenproblem. Damit haben aber alle Großstädte zu kämpfen. Wer zum Beispiel eine große Pizzaschachtel quer in einen Abfallbehälter schiebt, der kann damit fast eine komplette Mülltonne blockieren. Wir überlegen daher gerade, ob wir mit anders dimensionierten und konstruierten Müllbehältern auf dieses Problem reagieren. Das muss allerdings sauber vorbereitet werden.
Frage: Wie zufrieden sind eigentlich die Stuttgarterinnen und Stuttgarter mit dem Service der AWS und dem aktuellen Müllentsorgungssystem?
Antwort: Wir sehen lediglich, was bei uns an Beschwerden im Kundencenter ankommt, also eine Art Negativauslese. Da geht es hauptsächlich um den Anstieg des Müllaufkommens in Folge der Corona-Pandemie und um den vielen Verpackungsmüll, der in den privaten Haushalten wegen der Zunahme der Paketbestellungen angefallen ist. Vielleicht wurde auch mal vergessen, eine Tonne zu leeren, aber ich sehe bei diesen Beschwerden keine grundsätzlichen Kritikpunkte am Müllabfuhrsystem in Stuttgart.
Frage: Andererseits nimmt der Verpackungsmüll für Produkte unterschiedlichster Art ja ständig zu. Was müsste sich aus Ihrer Sicht ändern?
Antwort: Ein großes Problem ist, dass es immer weniger reine Kunststoffverpackungen und immer mehr Verbundpackungen gibt. Doch letztere sind schlicht und einfach nicht zu recyceln. Eine ähnliche Entwicklung gibt es beim Elektroschrott: Je mehr Bauteile verklebt sind, desto schlechter kann ich die Geräte reparieren oder eben auch recyceln.
Frage: Auf den Wertstoffhöfen wird ja möglichst sortenrein gesammelt. Ist das ein Beitrag, um Recyclingkreisläufe zu schließen?
Antwort: Dieses Bringsystem erfreut sich wachsender Beliebtheit und ist ein wichtiger Beitrag zur Müllvermeidung, den wir, wenn es irgendwie geht, weiter ausbauen wollen. Da prüfen wir gerade, was wir noch verbessern können.
Frage: Luft nach oben gibt es sicherlich auch beim Thema Bioabfall, oder?
Antwort: Um dieses Thema wollen wir uns in der nächsten Zeit intensiv bemühen. Je nach Stadtbezirk landen nach wie vor 25 bis 30 Prozent des Bioabfalls in der grauen Restmüll-Tonne. Wir würden ihn aber gerne in der braunen Tonne sehen. Bioabfall, der in der Restmülltonne landet, erhöht unnötigerweise das Restmüllaufkommen. Wir bauen ja die große Biovergärungsanlage in Zuffenhausen und dafür brauchen wir natürlich auch entsprechendes Biomaterial. Wir müssen erkennen, dass Bioabfall Rohstoff ist. Und wir müssen entsprechend handeln.
Frage: Ein anderes Thema ist der Sperrmüll. Lässt sich das Problem der oftmals damit verbundenen wilden Ablagerungen irgendwie verhindern?
Antwort: Auch da sind wir in der Prüfungsphase. Oft ist es ja so: Die Leute melden einen Tisch, Stuhl und ein Bett an. Und am nächsten Tag steht da eine komplette Dreizimmerwohnung vor dem Haus. Wir versuchen die wilden Ablagerungen so schnell wie möglich wegzubekommen. Dabei sind wir aber auf die enge Zusammenarbeit mit dem Amt für Öffentliche Ordnung angewiesen. Unser Ziel ist, die Verursacher zu kriegen und ihnen die Kosten in Rechnung zu stellen. Sonst zahlt das am Ende die Allgemeinheit.
Frage: Noch eine persönliche Frage: Sind die eigentlich schon richtig in Stuttgart angekommen? Als Hesse staunt man doch manchmal über die schwäbische Art.
Antwort: Ich fahre regelmäßig mit den Kollegen raus, um die Arbeit und Probleme vor Ort kennenzulernen. Da kommt man ins Gespräch und hört dann öfters: „Ich bin schon seit über 30 oder 40 Jahren dabei und stolz ein AWSler zu sein.“ Dann freue ich mich, denn das ist ein Teil der Motivation, warum ich jeden Morgen hier in den Betrieb fahre. Aber ich gebe gerne zu, dass ich mich an die schwäbische Mentalität schon noch gewöhnen muss. Manche Sachen sind mir auch wirklich fremd, wie zum Beispiel der Spruch: „Net bruddelt, isch globt gnug.“ Da bin ich ganz anders unterwegs.

Das Gespräch führte Georg Friedel.


ZUR PERSON
AWS-Chef Markus Töpfer arbeitet seit fast 20 Jahren in verschiedenen Führungspositionen der Abfallwirtschaft. Er war Geschäftsführer der Rhein-Main Deponie, leitete die Main-Taunus Recycling GmbH und die Rhein-Main Deponienachsorge. Davor war der 55-jährige Frankfurter einige Jahre hauptamtlicher Bürgermeister einer kleinen Gemeinde im Hochtaunus. Seit dem 1. Februar dieses Jahres ist er Geschäftsführer des Eigenbetriebes Abfallwirtschaft Stuttgart (AWS). Über 1000 Beschäftigte arbeiten derzeit bei der AWS Stuttgart. „Wir haben 40 Nationalitäten im Betrieb“, sagt der Verwaltungswirt und betont: „Vom Akademiker bis zum Mitarbeiter ohne Schulabschluss bildet der Betrieb fast die gesamte soziale Bandbreite der Gesellschaft ab.“ Momentan versucht Töpfer so oft es möglich ist, sich die Sachen vor Ort anzuschauen, um einen persönlichen Eindruck zu bekommen. Eines seiner Vorbilder ist der Verwaltungsreformer Freiherr vom Stein. Dieser habe den Satz geprägt: „Die Kenntnis des Ortes ist die Seele des Dienstes.“

Veröffentlicht am 20.07.2021