Und was war sonst noch?

Glossiert: Waren Sie vor kurzem mal am Hauptbahnhof?

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Mit der Urlaubssaison ist es dieses Jahr so eine Sache: Fliegen geht nicht, weil wahlweise zu wenig Personal da ist oder gestreikt wird. Autofahren ist Pendeln zwischen Preisschock und Dauerbaustellen und die Züge sind so voll, dass das Neun-Euro-Ticket dafür noch zu teuer ist.

Die Frage muss allerdings erlaubt sein: Waren Sie vor kurzem mal am Hauptbahnhof? Connaisseure verdrehen an dieser Stelle genervt die Augen, allen anderen sei zugerufen: Ohne Not dieser Tage an den Hauptbahnhof zu fahren, ist ein Fehler, den man nur einmal macht. Wer in das hinein gerät, was Stuttgart 21 vom Bahnhof übrig gelassen hat, darf auf keinen Fall zu einem dringenden Termin müssen, viel Gepäck mit sich führen oder gehbehindert sein. Alle anderen können es tatsächlich schaffen – aber sie werden dabei alt.

Erst folgt man noch blauäugig dem U-Bahn-Zeichen durch die Überreste der Schalterhalle, pflügt sich durch die Menschenmenge, in der nach rechts will, wer links steht und nach links, wer rechts steht. Bis man vor einem Schild an seinem gesunden Menschenverstand zu zweifeln beginnt: „U-Bahn Staatsgalerie 700 Meter“. Echt jetzt? Da fährt aber keine U6.

Also beschreibt man eine 180-Grad-Wendung, die so manchen Politiker in Jubellaune versetzt hätte. Nun tappt man den Leuten entgegen, die man zuvor überholt hat. Und immer noch will jeder nach links, der rechts steht und jeder nach rechts, der links steht. Hinaus führt dieser Weg, man kommt der vormaligen Bahndirektion bedenklich nahe und der Landesbank. Die Hitze tut ihr Übriges: Ist das eine Fata Morgana, da am Horizont? Man erblickt Kamele und Palmen. Man segelt auf den sieben Weltmeeren. Man umrundet den Mond. Und hätte dabei beinahe das Schild verpasst, das zum Abbiegen rät: „Kein Durchgang, nur U-Bahn.“

Küsst der amtierende Papst eigentlich immer noch den Boden, wenn er aus dem Flugzeug steigt? Man möchte es ihm jedenfalls gleich tun, als man endlich die Klett-Passage erblickt, versifft und alt vertraut. Als man endlich an der U6 anlangt, macht einem der Fahrer die Tür vor der Nase zu und man ist gerührt: Wenigstens hier ist alles noch so, wie es immer schon gewesen ist.

Man wähnte sich in den Öffentlichen, tatsächlich handelte es sich aber um eine Unterweisung in Demut: Endlich lernt man auch, das Wichtige vom Unwichtigen zu unterscheiden. Bummeln gehen in der Innenstadt? Feuerbach hat doch auch ganz wunderbare Einkaufsmöglichkeiten. Geschäftliche Termine wahrnehmen? Geht alles prima auch im Homeoffice. Verreisen? Keine Alpenüberquerung könnte spannender sein, als die Herausforderungen, die die Deutsche Bahn in die geschätzt 15 Höhenmeter zwischen Fernbahnhof und U-Bahnsteig gepackt hat! Irgendwann macht die S-Bahnhaltestelle wieder auf, dann braucht man sogar ein Basislager und Sherpas.

Oder man bleibt gleich, wo man ist. Vom ersten Lockdown ist man es ja schon gewöhnt, sich einen großen Lebensmittelvorrat anzulegen und sich ansonsten zuhause zu verbarrikadieren: Was man fußläufig nicht erreichen kann, lohnt im Zweifel auch die Mühe nicht. Statt Wiesen-Gaudi in München gibt es Eliszis am Killesberg, statt Musical in Hamburg Theaterhaus und Varieté auf der Prag. Verreist wird nur noch kulinarisch: Vietnamesisch, Japanisch, Italienisch, Griechisch, Schwäbisch, Vegan – alles da.

Wer vor kurzem mal am Hauptbahnhof gewesen ist, muss auch nicht mehr an seiner Erleuchtung arbeiten. Denn die universale Erkenntnis dieses Sommers lautet: Zuhause ist es auch schön. In diesem Sinne: Man sieht sich in Feuerbach!

(sm)


(Aus FeuerbachGO, Ausgabe 12 / 19.8.2022)

Veröffentlicht am 30.08.2022