Der kürzlich in den USA verstorbene Kinderbuchautor Eric Carle hat die Kindheit und Jugend in Feuerbach verbracht. Er hielt bis zuletzt Kontakt in die alte Heimat.
„Die kleine Raupe Nimmersatt“ futtert ausnahmsweise mal gar nichts: Sie frisst sich durch keine Torte, keinen Käse. Das sonst so gefräßige Geschöpf hält stattdessen ein Schild in seinen Krabbelärmchen, handgemalt und mit einer persönlichen Widmung von seinem Schöpfer Eric Carle. Per Luftpost kam die „kleine Raupe“ noch im August 2019 aus den USA nach Feuerbach geflattert. Der Autor und Illustrator sendete der Bezirksvorsteherin auf diesem Wege herzliche Grüße von seinem Wohnsitz in Northampton im US-Staat Massachusetts: „Liebe Frau Klöber, vielen Dank für den Feuerbacher Reiseführer. Ja, ich habe viele Bilder erkannt. Ach ja, das schöne Feuerbach ……“, schrieb der Raupe-Nimmersatt-Erfinder. Am 23. Mai dieses Jahres ist Eric Carle in Northampton im Alter von 91 Jahren verstorben.
„Ich hatte ihm noch zu seinem 90. Geburtstag im Namen des Stadtbezirkes gratuliert und ihm das Buch „Begehbares Feuerbacher Gedächtnis“ geschickt“, erinnert sich Andrea Klöber. Offenbar weckte dieses Werk bei Eric Carle damals sofort die Neugierde und Erinnerungen an seine Kindheit in Feuerbach. Es entspann sich eine kleine Korrespondenz: „Vielleicht können Sie mir aushelfen“, antwortete er im Herbst 2019 der Bezirksvorsteherin und kam gleich zur Sache: „Vor Jahren sah ich ein Photo von unserem Haus in der Dieterlestraße 16 nach einem Fliegerangriff während des Zweiten Weltkrieges.“ Er ergänzte den Brief mit einer kleinen Skizze: „Unser Haus 16 war nur leicht beschädigt“, schrieb er. Andrea Klöber machte sich auf die Suche und holte Walker Rieker mit ins Recherche-Boot. Rieker entdeckte in seinem riesigen historischen Fundus noch alte Aufnahmen: „Ich habe Eric Carle dann ein Päckchen mit Fotos, Dias und einem Buch geschickt“, erinnert sich der Hobby-Archivar und Sammler alter Fotografien.
Auch Joachim Arendt hat sich mit den Wurzeln des Raupe-Nimmersatt-Schöpfers befasst. In seinem Buch und Internetportal „Begehbares Feuerbacher Gedächtnis“, in dem historisch und kulturell wichtige Objekte im Stadtbezirk beschrieben werden, treten auch verschiedene Schauplätze aus Carles Kindheit und Jugend zu Tage. Was vielleicht einige in Feuerbach nicht wissen: Der bekannte Illustrator lebte mit seinen Eltern etwa anderthalb Jahrzehnte lang im großväterlichen Haus in der Dieterlestraße 16. Eine kleine Tafel als Würdigung hat Arendt schon vor Jahren an der Hausfassade anbringen lassen. Sie erinnert an den Ort, wo Carle aufgewachsen ist. Eric Carles Großvater betrieb im Oelschläger-Haus an der Dieterlestraße 16 eine Werkzeugbau-Firma. Der junge Eric sei Mitte der 1930er Jahre in die katholische Grundschule Feuerbach an der Elsenhansstraße gegangen, weiß Joachim Arendt. Die Familie Carle war evangelisch. Offenbar nahm die freiwillige Konfessionsschule, die Brühlschule hieß, auch Kinder anderer Konfessionen auf. Übrigens hat die Brühlschule eine weitere Berühmtheit zu verzeichnen: Der aufrechte Demokrat Matthias Erzberger unterrichtete an der Feuerbacher Schule 1895 als Grundschullehrer, bevor er später als Politiker und Publizist im Kaiserreich und der Weimarer Republik Karriere machte und 1921 von Rechtsterroristen ermordet wurde.
Nach der Grundschulzeit sei Eric Carle dann an die Oberschule, das spätere Leibniz-Gymnasium, gegangen, sagt Arendt. Der studierte Historiker und Ingenieur nahm im Rahmen seiner Buch-Recherchen auch Kontakt mit Carle auf: „Ich habe vielleicht zwei oder drei Mal mit ihm in den USA telefoniert. Er sprach breites Schwäbisch.“ Zur feierlichen Enthüllung der Eric-Carle-Tafel am Haus des Großvaters hätte Arendt den weltberühmten Auswanderer zu gerne in Feuerbach begrüßt. Er lud ihn ein, doch es klappte damals nicht, seine jüngere Schwester vertrat ihn aber bei der Einweihung. Arendt fände es angemessen, den verstorbenen und weltberühmten Kinderbuchautor nun posthum im Stadtbezirk entsprechend zu ehren. Sein Vorschlag: Das „Neue Gymnasium Leibniz“ in „Eric-Carle-Gymnasium“ umzubenennen. Er wolle diese bereits existierende Idee nochmals aufgreifen, sagt Arendt. „Sollte das nicht gelingen, so meine ich, gäbe es sicher noch andere Möglichkeiten, Eric Carle entsprechend zu würdigen.“
Klöber kann sich vorstellen, eine der hiesigen Grundschulen nach ihm zu benennen: „Das fände ich passender, weil er ja ein Kinderbuchautor war.“ Auch die Vorsitzende des Bürgervereins Feuerbach nimmt Abstand von Arendts Idee: Er sei Künstler gewesen und habe an der Kunstakademie Stuttgart studiert. „Ich meine, es wäre stimmiger, wenn er dort oben auf dem Killesberg bei der Kunstakademie ein Plätzle bekommen würde“, sagt Ruth Maier.
Eric Carles jüngere Schwester erinnert daran, dass ihr Bruder oft berichtet habe, wie er unter der Schulerziehung in Feuerbach gelitten habe. 1935 kam er als sechsjähriger Bub nach Feuerbach. Das war ein Schock für ihn. In den USA durfte er in der Vorschule recht frei mit Farben experimentieren. Eine Lehrerin in Syracuse erkannte sein Talent. Das pure Kontrastprogramm ereilte Carle dann in der Nazi-Zeit in Feuerbach. „Ein harter Bleistift und ein Bogen weißes Papier“, so habe ihr Bruder später seinen Schullalltag beschrieben, erinnert sich seine 21 Jahre jüngere Schwester. Erst sein Kunstlehrer an der Oberschule in Feuerbach, Herr Krauss, förderte ihn und animierte den gerade mal 15-jährigen Oberschüler, sich an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste am Weissenhof zu bewerben. Nach Kriegsende studierte er dort. 1952 kehrte er in die USA zurück, arbeitete zunächst als Grafiker bei der New York Times und illustrierte später über 80 Kinderbücher.
Am Ende seines Lebens schloss sich der Kreis: „Deine historisch wichtigen Fotos und die Feuerbacher Lausbuben haben mich riesig gefreut, tausend Dank“, schreibt er noch im Winter 2020 aus seinem Sommersitz in Florida an Walter Rieker und fügt an: „Ich kann mich sehr gut an jede Ecke von meinem Feuerbach erinnern.“ Und der Stadtbezirk erinnert sich gern an ihn: „Wir sind mächtig stolz, dass er ein Feuerbächer nach der Abstammung war“, sagt Ruth Maier vom Bürgerverein. Ein passender Gedenkort wird sich da zur passenden Zeit sicherlich noch finden lassen. Das hofft auch seine jüngere Schwester Christa aus Leonberg-Gebersheim: „Viele Erlebnisse aus dieser Zeit haben meinen Bruder zu wunderbaren Bilderbüchern inspiriert.“
Von Georg Friedel
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